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Франц ГрильпарцерDIE ENTDECKUNG VON MADERA

Wenn die Geisterstunde schallet...
10 мин.
92
немецкий
Wenn die Geisterstunde schallet,
Und kein Stern am Himmel lacht,
Wenn kein Fußtritt rings mehr hallet
In der stillen Mitternacht,
Naht sich in der Dunkelheit schützendem Schleier
Dem Fenster des harrenden Liebchens dein Treuer.

2
Lispelt leise am Gegitter,
Das ihn von dem Mädchen trennt,
Robert von Macham, der Ritter,
Der für Anne d'Arset brennt.
Und freudiger schließet nun Anne das Fenster
Und harret voll Sehnsucht der Stund der Gespenster.

3
Feurig liebten sich die beiden,
Rein, wie nur ein Engel liebt,
Doch der Himmel ihrer Freuden
Wurde nur zu bald getrübt:
Denn Annens Geschlecht war geachtet im Lande,
Und Robert Macham nur von niedrigem Stande.

4
Einer von des Hofes Großen,
Mächtig, reich und hochgeehrt,
Aus des Königs Blut entsprossen,
Hatte Annens Hand begehrt.
Der Vater glaubt sich durch den Antrag geachtet,
Ihr Glück wird dem Stolze zum Opfer geschlachtet.

5
Ungerührt von Annens Tränen
Sieht der Vater ihren Schmerz,
Und, um seinem Geiz zu frönen,
Martert er der Tochter Herz.
Um Reichtümer, Hoheit und Macht zu erreichen,
Mag immer die liebende Tochter erbleichen!

6
Robert soll das Mädchen fliehen,
Deren Liebe ihn beglückt!
Alle Freuden, die ihm blühen,
Sind durch diesen Stoß zerknickt.
Die Schöpfung, die ehmals mit Lust ihn erfüllet,
Erscheint nun im Schleier der Trauer verhüllet.

7
Doch der Schmerz weicht bald dem Grimme.
Zu dem Grafen d'Arset spricht
Er mit wuterstickter Stimme,
Zittre, grauer Bösewicht!
Nie soll dir dein schändlicher Anschlag gelingen,
Ich will mir die Hand deiner Tochter erringen.

8
Ha, den Frevel sollst du büßen,
Ruft d'Arset, elender Wurm,
Nasse Steine magst du küssen,
Dort im grassen Felsenturm!
Und winket mit hoch aufgehobener Rechten;
Da füllet das weite Gemach sich mit Knechten.

9
Tobe, tobe, toller Knabe,
Spricht der Graf mit Hohn und Wut,
In des Turmes kaltem Grabe
Schwindet bald der kühne Mut!
Auf, wackere Knechte, auf, bindet den Kühnen,
Nun mag er im Kerker den Frevel versühnen!

10
Roberts Degen mäht die Rotte,
Die ihn überall umringt,
Schrecklich ist er, gleich dem Gotte,
Der die roten Blitze schwingt,
Er stehet im Kreise, verwundet und tötet,
Von Blut ist des Tapferen Klinge gerötet.

11
Da naht Tom, ein niedrer Reiter,
Sonst der Feige nur genannt,
Rückwärts sich dem kühnen Streiter,
Reißt das Schwert ihm aus der Hand,
Und so wird vom Feigen der Held überwunden,
Macham überwältigt, gefangen, gebunden.

12
Hoch, mit Klippen rings umgeben,
Lag ein altes, graues Schloß,
Dort soll Macham künftig leben,
In der Erde tiefstem Schoß
Umschlossen von mächtigen, schrecklichen Mauern.
Dort soll er die Tage der Jugend vertrauern.

13
Dreimal wechselt Lunas Schimmer
Seine glänzende Gestalt.
Da verstummt Roberts Gewimmer,
Und kein banger Klagton schallt
Herauf aus des Turmes gigantischen Schlünden.
Wie, wärs ihm gelungen den Ausweg zu finden?

14
Ja, es ist, es ist gelungen,
Und die goldne Freiheit lacht
Herrlich ihm, er ist gedrungen
Aus des Kerkers düstrer Nacht.
Ha, seht, wo gespalten die Mauer dort klaffet,
Hat er sich dem harten Gewahrsam entraffet.

15
Abgezehrt, mit wunden Füßen
Und bedeckt mit Staub und Blut,
Von der Dornen Zahn zerrissen,
Eilt er auf Graf Arsets Gut.
Ans Fenster von Annens Gemach geht die Reise,
Dort lispelt der Ritter vernehmlich und leise:

16
Wenn die Geisterstunde schallet,
Und kein Stern am Himmel lacht,
Wenn kein Fußtritt rings mehr hallet,
In der stillen Mitternacht,
Naht sich in der Dunkelheit schützendem Schleier
Dem Fenster des harrenden Liebchens dein Treuer.

17
Als die Geisterstunde hallet,
Da rafft Anne sich empor,
Horch, ein leises Klatschen schallet
In ihr aufgeregtes Ohr.
Schnell eilet das Mädchen auf düsteren Wegen
Den Armen des harrenden Ritters entgegen.

18
Auf des Mädchens Lippen glühen
Seine Küsse sanft und warm,
Mädchen, spricht er, laß uns fliehen,
Flieh an deines Robert Arm!
Vorm schrecklichem Grimme der wilden Barbaren
Kann eilige Flucht nur ihr Opfer bewahren.

19
Siehe, dort am nahen Strande
Steht ein schnelles Schiff bereit,
In der Franken schönem Lande
Winkt uns Ruh und Sicherheit.
Geliebte, du willigest ein? – Dein Entzücken,
Dein Ja les ich froh in den flammenden Blicken.

20
Freudig ruft ers, und schon sehen
Sie vom nahen Ufer her
Eines Schiffes Wimpel wehen
Auf dem spiegelglatten Meer.
Da fasset das zagende Mädchen der Starke
Und trägt sie ans Ufer zur harrenden Barke.

21
Fröhlich stoßen sie vom Lande,
Und am fernen Osten lacht
In purpurenem Gewande
Hehr Aurora, neu erwacht. –
Der Leuchtturm am Lande wird nun schon zum Zwerge,
Allmählich verschwinden die heimischen Berge.

22
Doch der heitre Himmel düstert
Plötzlich sich, der Tag erlischt,
Das bestürmte Schiffchen knistert,
Die geblähte Welle zischt;
Und höher und höher in wallenden Bogen
Erheben den Rücken die schäumenden Wogen.

23
Aufgeregte Winde blasen,
Und der Blitze falbes Licht
Flammet durch des Donners Rasen
Wie am großen Weltgericht.
Und höher und höher in türmenden Bogen
Erheben den Rücken die donnernden Wogen.

24
Wie der Pfeil vom Bogen schwirret,
Also eilt der schwache Kiel,
Der im hohen Meere irret,
Aufgeregter Winde Spiel.
Und fürchterlich schwanket eilf schreckliche Tage
Vom Leben zum Tode des Schicksales Wage.

25
Seht, wie dort die Wellen stürmen
Auf des Schiffchens nasser Bahn,
Schrecklich sich wie Berge türmen
Bis zum Firmament hinan.
Und fürchterlich heulet die Windsbraut, und grasser
Erbrüllen im Grimme die kochenden Wasser.

26
Zitternd und mit blassen Lippen
Ruft der Schiffer: Helf uns Gott!
Dort von himmelhohen Klippen
Droht Verderben uns und Tod.
Es heulen wie Donner die brechenden Wellen,
Das Schiffchen mit wütender Kraft zu zerschellen.

27
Und der rohe Schiffer betet,
Von der Todesfurcht gelähmt,
Zu dem Gott, der hilft und rettet,
Der die Ungewitter zähmt.
Da naht sich ein Meerstrom dem sinkenden Schiffe
Und reißt es zerschellt in die grundlose Tiefe.

28
Aus des Meeres nassem Schoße
Ragt Madera hoch empor,
Schön und herrlich, wie die Rose
Aus der niedern Blumen Chor.
Dahin trägt gepeitscht von der Wut der Gewitter
Die mitleidge Woge den starrenden Ritter.

29
Bald fließt Wärm in seine Glieder,
Fühlbar klopft das Herz, er hebt
Schon die schweren Augenlider,
Seufzt aus banger Brust. – Er lebt!
Da rafft er sich plötzlich mit wilder Gebärde,
Von Sorgen bestürmt, von der triefenden Erde.

30
Annen suchen seine Blicke,
Doch umsonst, voll Wut und Gram
Fluchet er auf das Geschicke,
Das das Teuerste ihm nahm.
Da steht er umtobt von der Wogen Getümmel
Und ringet verzweifelnd die Hände gen Himmel!

31
Über Felsen und durch Klüfte
Eilt er fort in schnellem Lauf,
Anne schallt es durch die Lüfte,
Nichts hält seinen Kummer auf.
Er rennt bei der Blitze beleuchtendem Scheine,
Ersteiget die Berge, durchdringet die Haine.

32
Dort am Felsen blinkt wie Feuer,
Das in dunkeln Klüften brennt,
Ein mit Gold verbrämter Schleier.
Robert eilt dahin, erkennt
Sein Mädchen und eilt wie auf Sturmwindes Flügel,
Von Liebe beseelet, hinan auf den Hügel.

33
Jetzo ist der Berg erstiegen,
Und er sieht voll Götterlust
Sie in seinen Armen liegen,
Schließt sie freudig an die Brust
Und hält sie mit selgen Gefühlen umschlungen,
Von keinem Barbarn sie zu fliehen gezwungen.

Den 19ten Januar 1807
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Gedichte.
Die meisten Gedichte wurden kurz nach ihrem Entstehungsdatum erstmals in verschiedenen Zeitschriften abgedruckt. Erstdruck der ersten Gesamtausgabe nach Grillparzers Tod, 1872.
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 40-47.

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