Себастьян БрантDAS NARRENSCHIFF. 46 VON DER NARREN GEWALT.
Noth ist, daß viele Narren sind...
Narrheit hat gar ein groß Gezelt;
Es lagert bei ihr alle Welt,
Zumal wer Macht hat und viel Geld.
In einem offenen, außen mit Narrenkappen bemalten und beflaggten Zelte sitzt eine Königin, die Narrheit, welche reichgekleidete Männer verschiedenen Alters an einer Kette hält.
Noth ist, daß viele Narren sind,
Denn viel sind an sich selbst ganz blind,
Die mit Gewalt wollen witzig sein,
Da Jedermann mit klarem Schein
Wol ihre Narrheit sieht. Doch wagt
Es Keiner, daß "du Narr!" er sagt.
Und wenn sie großer Weisheit pflegen,
Ist's fast nur solcher Gäuche wegen;
Und wenn sie Niemand loben will,
So loben sie sich oft und viel,
Da doch der weise Mann gibt Kunde,
Daß Lob stinkt aus dem eignen Munde.
Die in sich selbst Vertrauen setzen
Sind Narren und thörichte Götzen,
Wer aber klug im Wandel ist,
Der wird gelobt zu aller Frist.
Das Land ist selig, dessen Herrn
Die Weisheit leitet wie ein Stern,
Deß Rath auch ißt zu rechter Zeit
Und sucht nicht Gier noch Ueppigkeit.
Weh, weh dem Erdreich, das gewinnt
Einen Herren, der noch ist ein Kind,
Deß Fürsten prassen in der Früh'
Und achten nicht der Weisheit Müh'!
Doch ist ein Kind, das weise ist,
Viel besser noch zu jeder Frist
Denn ein König, der – ein alter Thor –
Die Zukunft nicht bedenkt zuvor.
Weh dem Gerechten über Weh,
Wenn Narren steigen in die Höh'!
Jedoch wenn Narren untergehn,
Gar wol Gerechte dann bestehn.
Das ehrt ein Land so nah wie fern,
Wenn ein Gerechter wird zum Herrn,
Aber sobald ein Narr regiert,
So werden viel mit ihm verführt.
Der thut nicht Recht, wer bei Gericht
Nach Freundschaft und nach Ansehn spricht,
Der selbst auch um den Bissen Brod
Wahrheit und Recht zu lassen droht.
Gerecht Urtheil steht Weisen wohl,
Ein Richter Niemand kennen soll.
Gericht soll sein für Freundschaft blind;
Susannen-Richter noch viel sind,
Die Muthwill treiben und Gewalt;
Gerechtigkeit, die ist ganz kalt.
Die Schwerter sind verrostet beide
Und wollen nicht recht aus der Scheide;
Sie schneiden nicht, wo es ist noth:
Gerechtigkeit ist blind und todt.
Jetzt singen All des Geldes Lied;
Jugurtha, als von Rom er schied,
Da sprach er: "O du feile Stadt,
Wie wärst du bald so schach und matt,
Wenn sich ein Käufer stellte ein!"
Man findet Städte groß und klein,
Wo man Handschmierung gerne nimmt
Und alsdann thut, was sich nicht ziemt.
Freundschaft und Lohn Wahrheit verkehrt,
Wie Mosis Schwäher schon ihn lehrt,
Neid, Pfennige, Freundschaft, Macht und Gunst
Zerbrechen jetzt Recht, Brief und Kunst.
Die Fürsten waren sonst wol weis,
Die Räthe alt, gelehrt und greis,
Da stand es wohl in jedem Lande,
Da ward gestrafet Sünd' und Schande
Und Friede war rings in der Welt.
Jetzt hat die Narrheit ihr Gezelt
Geschlagen auf und liegt zur Wehr;
Sie zwingt die Fürsten und ihr Heer,
Daß Weisheit sie und Kunst aufgeben
Und nur nach eignem Nutzen streben
Und wählen sich kindischen Rath.
Darum es leider übel staht
Und künftig hat noch bös're Gestalt:
Narrheit ist groß bei großer Gewalt.
Gar mancher Fürst hätt' lang regiert
Durch Gottes Gnad', wenn nicht verführt
Und karg er würd' und ungerecht
Durch Reizung falscher Räth' und Knecht.
Die nehmen Gab', Geschenk und Miete;
Vor solchen ein Fürst sich billig hüte!
Wer Gabe nimmt, der ist nicht frei,
Geschenk bewirkt Verrätherei,
Wie von Ehud geschah Eglon
Und Dalida verrieth Samson.
Andronîcus güldne Gefäße nahm,
Drob Onyas zu Tode kam;
Um Ben-Hadads Bündniß war's geschehn,
Als er die Gaben angesehn;
Tryphon voll Trug bewirken wollte,
Daß Jonathas ihm glauben sollte,
Drum schenkt' er Gaben ihm zuvor,
Daß jener würd' ein blinder Thor.
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 81-84.