Себастьян БрантDAS NARRENSCHIFF. 45 VON MUTHWILLIGEM UNGLÜCK.
Der ist ein Narr, wer betet stät...
Wen Muthwille ins Feuer bringt,
Und wer von selbst in den Brunnen springt,
Dem geschieht schon Recht, wenn er ertrinkt.
Ein Narr schreit aus einem Brunnen um Hilfe, ein andrer will in ein Feuer springen; drei Zuschauer urtheilen: Ihnen geschieht Recht!
Der ist ein Narr, wer betet stät
Und thut, – so dünkt ihn, – heiß Gebet
Und ruft zu Gott oft überlaut,
Daß er komm' von der Narrenhaut,
Und doch die Kapp' nicht missen kann;
Er zieht sie täglich selber an
Und meint, Gott woll' ihn hören nicht;
So weiß er selbst nicht, was er spricht.
Wer in den Brunnen keck erst springt
Und dann, voll Furcht, daß er ertrinkt,
Laut schreit, daß man ein Seil ihm brächt',
Deß Nachbar spricht: "Es geschieht ihm Recht!
Er ist gefallen selbst darein,
Er könnt' geblieben draußen sein!"
Empedokles in Narrheit kam
Und sprang selbst in des Aetna's Flamm'.
Hätt' Jemand ihn daraus befreit,
Der thät ihm Unrecht an und Leid:
Denn er war worden Narr so sehr,
Er hätt' es doch versucht noch mehr.
So thut, wer meint, Gott solle ihn
Mit Wort und Gewalt recht zu sich ziehn,
Ihm geben Gnad' und Gaben viel,
Und doch sich drein nicht schicken will.
Mancher verkürzt sich den Lebenstag,
Daß Gott ihn nicht mehr hören mag,
Weil er ihm nicht die Gnad' verleiht,
Daß er erfleht, was ihm gedeiht.
Wer betet, wie ein Thor gesinnt,
Der schlägt den Schatten, bläst den Wind.
Mancher mit Bitten von Gott begehrt,
Was, ihm verliehn, nur Leid gewährt.
Drum, wer da lebt im Stand voll Sorgen,
Trag' seinen Schaden heut' wie morgen!
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 80-81.