Себастьян БрантDAS NARRENSCHIFF. 19 VON VIELEM SCHWATZEN.
Der ist ein Narr, wer tadeln will...
Wer Zung' und Mund nimmt in die Hut,
Der schirmt vor Angst sich Seel' und Muth:
Ein Specht verräth sein eigen Blut.
Ein Narr, dessen Schwatzhaftigkeit durch die herausgestreckte Zunge angedeutet wird, hält eine ähnlich gestaltete Pritsche in der Hand und nähert sich einem Baume, an dessen Stamme eine Elster mit aufgesperrtem Schnabel klettert, welche durch ihr Schreien das in der Baumkrone befindliche Nest verräth.
Der ist ein Narr, wer tadeln will,
Wozu sonst Jedermann schweigt still,
Und will unnöthig haben Haß,
Wo er doch könnte schweigen baß.
Wer reden will, wo er nicht soll,
Der taugt zum Narrenorden wohl;
Wer ohne Frage gibt Bescheid,
Der zeiget selbst sein Narrenkleid.
Von solcher Red' wird Mancher ergetzt,
Die in Schaden ihn und Leid versetzt,
Und Mancher verläßt sich auf sein Schwätzen,
Daß er eine Nuß red' von einer Hätzen,
Deß Worte sind so stark und tief,
Er schwatzt ein Loch in einen Brief
Und richtet zu ein Geschwätz gar leicht.
Doch wenn er kommt dann zu der Beicht',
Wo man doch ewigen Lohn verheißt,
Geht ihm das Zünglein nicht so dreist.
Noch sind viel Nabal auf der Erde,
Die schwätzen mehr, als gut ihnen werde,
Und Mancher würde für witzig geschätzt,
Wenn er nicht selbst sich hätte verschwätzt:
Ein Specht verräth mit seiner Zungen
Das eigne Nest zusammt den Jungen.
Im Schweigen liegt oft Antwort viel,
Und Schaden hat, wer schwatzen will.
Oft trägt die Zunge, ein Glied so klein,
Unruhe und Unfrieden ein,
Befleckt gar oft den ganzen Mann
Und stiftet Streit, Krieg, Zanken an;
Es scheint oft ein groß Wunder mir,
Daß man bezähmt ein jedes Thier,
Wie hart, wie wild, wie grimm es ist:
Doch für die Zung' kein Meister ist!
Die ist ein unruhiges Gut,
Das Schaden oft dem Menschen thut;
Durch sie wird oft gescholten Gott,
Den Nächsten schmähen wir mit Spott,
Mit Fluchen, Nachred' und Veracht,
Den Gott nach seinem Bild gemacht;
Gar Mancher wird durch sie verrathen,
Sie offenbart geheimste Thaten.
Durch Schwatzen Mancher sich so nährt,
Daß Wein und Brod er nicht mehr begehrt;
Die Zunge braucht man in dem Recht,
Daß krumm wird, was zuvor war schlecht;
Manch armer Narr verliert die Habe
Durch sie und greift zum Bettelstabe.
Dem Schwätzer kostet das Reden nicht viel,
Er kitzelt sich, lacht, wann er will,
Und redet Gutes in der Welt
Von Keinem, wie er auch sei gestellt.
Wer viel Lärm und Geräusch jetzt macht,
Den lobt man und hat seiner Acht,
Zumal wer köstlich geht einher
Mit dicken Röcken und Ringen schwer;
Die taugen jetzt wol für die Leute,
Man achtet dünnen Rocks nicht heute.
Wenn noch auf Erden Demosthenes
Oder Tullius wäre und Aeschines,
Man schätzte nicht ihre Weisheit heute,
Wenn sie nicht könnten beschei ... die Leute,
Und reden viele Worte geschmückt,
Welche zu hören Narren entzückt.
Wer vieles spricht, sagt oft zu viel,
Und muß auch schießen nach dem Ziel,
Werfen den Schlägel fern und weit
Und Ränke schmieden im Widerstreit.
Viel Schwätzen sündigt und betrügt,
Und Keines Freund ist, wer viel lügt,
Und wer vom Herren Uebles spricht,
Das bleibt verschwiegen lange nicht,
Wenn es auch fern geschäh von ihm:
Die Vögel tragen aus die Stimm',
Es nimmt zuletzt kein gutes Ende,
Denn Herren haben lange Hände.
Wer über sich viel hauen will,
Dem fallen Spän' ins Auge viel,
Und wer seinen Mund in den Himmel setzt,
Der wird mit Schaden oft geletzt.
Ein Narr den Geist auf einmal zeigt,
Der Weise Besseres hofft und – schweigt.
Unnützes Wort nicht Frommen bringt,
Und aus Geschwätz nur Schad' entspringt.
Darum ist besser stillesein
Als Schwatzen, Reden oder Schrei'n.
Sotades ward um wenig Wort'
Einst eingekerkert wie um Mord.
Es sprach nur dies Theokritus:
Einäugig sei Antigonus,
Da war's mit ihm im eignen Haus
Wie mit Tullius und Demosthenes aus.
Schweigen ist löblich, recht und gut,
Noch besser handelt, wer Rechtes thut.
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 40-43.