Себастьян БрантDAS NARRENSCHIFF. 11 VERACHTUNG DER SCHRIFT.
Der ist ein Narr, der nicht der Schrift...
Wer jedem Narren glauben will,
Da man doch hört von Schrift soviel,
Der schickt sich wohl ins Narrenspiel.
Ueber einem offenen Sarge liegt der Deckel quer, darauf sitzt ein Geist im Leichentuche. Mit diesem spricht ein Narr, der zwei Bücher, wol die des Alten und des Neuen Bundes, mit Füßen tritt. Im Hintergrunde eine Stadt.
Der ist ein Narr, der nicht der Schrift
Will glauben, die das Heil betrifft,
Und meint, daß er mit Fuge lebe,
Als ob's nicht Gott noch Hölle gebe,
Verachtet Predigt sowie Lehre,
Als ob er gar nicht säh' noch höre. –
Stünd' einer von den Todten auf,
Man liefe hundert Meilen drauf,
Damit man hörte neue Märe,
Welch Wesen in der Hölle wäre;
Ob viele Leut' dort führen ein,
Ob man auch zapfte neuen Wein
Und ander ähnlich Affenspiel.
Nun hat man doch der Schrift soviel
Vom Alten und vom Neuen Bund,
Kein ander Zeugniß zu der Stund'
Gebraucht man, noch Kapell' und Klausen
Des Sackpfeifers von Nickelshausen.
Denn Gott spricht nach der Wahrheit sein:
"Wer hier gesündigt, hat dort Pein,
Und wer sich hier zur Weisheit kehrt,
Der wird in Ewigkeit geehrt."
Gott gab, das leidet Zweifel nicht,
Gehör dem Ohr, dem Auge Licht;
Darum ist blind der und betäubt,
Der nicht hört Weisheit und ihr gläubt
Und lauscht auf neue Mär' und Sage.
Ich fürcht', es kommen bald die Tage,
Daß man mehr neuer Mär' werd' inne,
Als uns gefall' und sei nach Sinne.
Jeremias schrie und hat gelehrt
Und ward von Niemand doch gehört,
Desgleichen andre Weise mehr,
Drum kam viel Plage hinterher.
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 27-28.