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Христоф Август ТиджURANIA. 5. GESANG. TUGEND

So wag' es dann, o Freund! zu dir dich zu erheben...
35 мин.
65
немецкий
So wag' es dann, o Freund! zu dir dich zu erheben!
So wag' es dann, zu haben, was du hast;
Zu finden, was dein Herz umfaßt;
Zu glauben an dein eignes Leben,
Wovon das Pfand, ein hochgeweihtes Gut,
In deinem innern Dasein ruht!
Im innern Dasein liegt ein Buch uns aufgeschlagen,
Wie eine offne Gegenwart.
Die Pythia in uns laß uns befragen!
Sie weissagt uns das Ziel, das unser harrt.

Wer ist der Mensch? – Auf beiden Wegen,
Zu ihm hinab, zu ihm hinan,
Weht uns ein Gotteshauch entgegen,
Und kündigt uns den hohen Menschen an.
Es flammt in ihm ein reines Götterfeuer;
Hoch flammt es auf; doch stürzet er einmal
Sich von sich selbst herab: ein solches Ungeheuer
Birgt keine wilde Kluft, verhüllt kein grauses Thal.
Mit Zittern staun' ich seine Höhen
In schrecklich wüsten Trümmern an!
Wie hoch muß nicht ein Wesen stehen,
Das so erschütternd fallen kann!

Begeistert blicktest du, in feierlichen Stunden,
Zur Göttlichkeit der Tugendkraft hinauf;
Und hast du in der Tugend Gott gefunden:
So such' ihn auch im Laster auf!
Ja, find' im Taumel Alexanders
Ruinen von Erhabenheit!
Was war sein Heldenwahnsinn anders,
Als die gefallne Göttlichkeit?
Sie fiel erschütternd, wie der Friede
Der Welt, wohin er Mord und Frevelthaten trug,
Der Welt, worin er nichts so tief, als sich, erschlug.
Groß war der stolze Philippide;
Die Hoheit war in ihm zerstört.
Das große Laster, das dein Herz empört,
Ist die gestürzte Pyramide,
Die, ach! zum Staub hinab die Flammenspitze kehrt;
Es ist der Wetterstrahl, der leuchtet und verheert.
Der Tugend Sonnenblick heißt: Friede.

Wenn kalt ein Wütrich dort den Frieden niederstürmt:
Dann überstrahlet hier, wie mildes Frühlingswetter,
Den stillen Zeitengang ein sanfter, edler Retter,
Der mit geweihtem Arm die Menschheit überschirmt.
Die Erde stellt dem Himmel nichts Verhaßters,
Und nichts Geliebters, als den Menschen, auf;
Und dies Amphibion der Tugend und des Lasters,
Wo löst es einst in Harmonie sich auf?
Der wunderbare Mensch! im Guten und im Bösen
Gleich unbegreiflich sich! O sprich! wer gab der Zeit
Dies große Rätsel auf? Wer wird, wer kann es lösen? –
Die Weisheit einer Ewigkeit!

Zwei Mächte sind im Menschen tief verschlungen,
Die der Verstand selbst anerkennen muß:
Der Ruf der Tugend dort – sie fordert Opferungen,
Und hier die Sinnlichkeit – sie dringet auf Genuß.
Getrennt sind diese beiden Mächte;
Und jede fordert Huldigung,
Und fordert sie mit unbestrittnem Rechte;
Doch ringen beide nach Vereinigung.
Und zwischen beide tritt versöhnend
Das hohe Ideal der Götterwürdigkeit,
Das schön und immer schöner krönend
Hinauf führt zur Unendlichkeit.

Wer ist die Glanzgestalt, die uns im Traum des Ruhmes
Hoch über uns erhebt? – Das ist die hehre Spur,
Der Schimmer unsers Göttertumes;
Das ist der Mensch der höheren Natur,
Der Mensch in seiner vollern Würde,
Die uns begeistert und entzückt.
Und darum trauern wir, wenn schwer des Alters Bürde
Zum Staub hinab den großen Menschen drückt;
Wir trauern, wenn so tief der Götterfunken
In jenem Greis erloschen scheint,
Daß er, von seiner Kraft hinweggesunken,
Im Dunkel lebt, und kindisch lacht und weint.
Doch diesem Schatten gegenüber,
Steht Fontenelle1 da, der ein Jahrhundert trägt.
Wie tönt sein Winterhain, den jede Muse pflegt!
In seiner Seel' ist Licht, ward auch sein Auge trüber;
Vor seinem äußern Sinn erklingt
Nur schwach das Weltgeräusch: was kann's ihm noch gewähren?
Zu seinem innern Sinne dringt
Der Psalm der Ewigkeit im Chor der Weltensphären.
So schön bewährt die Meisterschaft
Des Lebens nur der Mann der Kraft.
Es hat das Alter nichts an ihm zu rächen;
Sein beßrer Sinn war nicht den Sinnen unterthan;
Selbstherrschend in sich selbst, verfolgt' er seine Bahn;
Er hielt die Kraft, die Kraft hält ihn, daß sich die Schwächen
Der grauen Kindheit ihm nicht nahn.

Die ganze Menschheit strahlt in einem Meisterwerke
Der Lebenskunst, die an Vollendung strebt:
Wir sehn bewundernd, wie die Stärke
Das Leben trägt, die Kraft es hebt.
Du staunst zur Kraft hinauf, selbst da, wo sie zerstöret,
Wo sie das Große niederreißt,
Wo sie Gefahren trotzt, und Felsen weichen heißt;
Sie fesselt, wenn sie auch dein ganzes Herz empöret,
Doch deinen Blick und deinen Geist.
Du staunst, wenn Archimed nur einen Standpunkt fodert,
Um selbst den Erdenball zu heben, der ihn trägt;
Du zitterst, wenn empor die Kraft der Seele lodert;
Wenn sie verderbend auf in wilde Flammen schlägt;
Du bebst, wenn Hannibal hoch über Alpenschlünde
Das Schrecken wälzt, das Romas Thoren dräut;
Du schauderst auf, wo Cäsars Eitelkeit,
Zum lauten Zeugen seiner Sünde,
Herab zu seinem Stolz den Glanz der Hoheit riß;
Du schauderst auf, wie vor beglänzten Trümmern;
Du siehst das fürchterliche Schimmern,
Die grause Sichtbarkeit der Sonnenfinsternis.

Beseele diese Kraft mit freier, edler Güte;
Begeistre sie mit stillem Friedenssinn;
Vergöttre sie zur holden Pflegerin
Der reinsten Menschlichkeit, der schönsten Geistesblüte:
O! dann ergreift sie dich, die heilige Gewalt;
Es geht ein Himmel auf vor deinen Blicken;
Es kündet sich dem zagenden Entzücken
Die Tugend an in göttlicher Gestalt.
Ja, sie verließ, um uns dem Himmel zu erziehen,
Einst die ambrosische, geliebte Flur,
Und trug den festern Sinn der Lebensharmonien
In unsre schwankende Natur.

Als noch der Mensch nicht in die Ferne blickte,
Noch, zwischen Zukunft und Vergangenheit,
Dein Augenblick die reife Frucht entpflückte:
Da blühte seine stille Zeit.
O! schuldlos war er nur – nicht weise;
Sein Dasein war ein Kindeslos.
Da nahm – ihm unbewußt – und leise
Die Zukunft ihn der Gegenwart vom Schoß,
So wie den Säugling, noch unaufgerissen
Vom Schoße, der ihn wiegend trägt,
Die Mutter zärtlich, unter Küssen,
Von einer Brust zur andern legt.
Und freundlich, wie das Licht, worin der Tropfen leuchtet,
Der einen Wiesenhalm befeuchtet,
Umgab ihn noch die Einfalt der Natur;
Allein es war sein Los, die Spur
Der Kindeseinfalt zu verscherzen;
Die Wahrheit floh aus seinem Herzen,
Auf seine Lippe kam der Schwur.

Erwacht wie eine neue, schöne Jugend,
Trat auf die wüste Stelle seiner Ruh
Die stille Göttlichkeit der Tugend,
Und bracht' ihm ihre Hoffnung zu.
Die sollte freundlich um sein dunkles Leben,
Worein der Schatten einer Erde fällt,
Wie eine sanfte Luna, schweben,
Mit ihrem Wiederschein von einer Sonnenwelt.
Und, wie das ferne Licht, das eine finstre Höhl
Mit seinem leisen Silberblick erfüllt,
Steht vor der überhüllten Seele,
Vollendung, dein erhabnes Bild!

Und welch' ein Raum von dieses Lebens Grenzen
Bis zu dem höchsten Ziel! wie weit!
Es ist der Weg zu Gott; er heißt Unendlichkeit.
Darf die Vollendung dort herüber glänzen
In dieses Schattenthal der Zeit,
Wo, tief verhüllt und vielgestaltig,
Ein düstrer Geist um lichte Stellen schwebt?
Das ist des Schicksals Macht, die furchtbar und gewaltig
Sich gegen unsre Kraft erhebt.
Und dennoch soll der Mensch – mit welchem Grimme
Das Schicksal auch herein in seine Tage bricht –
Des Lebens würdig sein; und wanken soll er nicht
Von dem Gebot der innern Stimme,
Womit ein Gott zu seinem Geiste spricht.
Nach einem Ziele soll er wandeln,
Das höher steht, als seine Zeit.
Ein Mensch zu sein, und wie ein Gott zu handeln:
Wer rettet hier? wer löst den wunderbaren Streit?

Hier rettet die Vernunft, die hehre, gottvertraute.
Hervor aus ihrem tiefsten Leben wehn
Unsterbliche, geweihte Stimmenlaute,
Die hohe Seelen inniger verstehn:
Es muß ein Pfad noch dort hinübergehn!
So lautet die erhabne Sendung
An unsern Geist. Es ist der Pfad,
Auf welchem sich die Tugend der Vollendung,
Vollendung sich dem Frieden naht.
Je mehr die Seele sich emporringt zu dem Frieden,
Des höhern Lebens sich bewußt zu sein:
Je tiefer dringt sie schon hienieden
Ins Göttertum der Seelen ein.

Das Göttertum der Seelen hat begonnen!
Mein höchstes Leben weihe sich!
Und ihr, o kommt, ihr feierlichen Wonnen
Des großen Heils, kommt über mich!

Ich schreite fort zur höhern Friedensfeier.
Auf! mein gefühltester Gesang,
Begleite du, geweihter Sohn der Leier,
Mit Siegestönen meinen Gang!

Hier liegt die Spur von meinem Morgentraume,
Der Punkt, den diese Sonn' erhellt.
Der Geist bedarf kein Heil von diesem Raume;
Sein Fried' ist nicht von dieser Welt!

Die Welt stößt unser reinstes Leben
Von ihrem Frieden kalt zurück;
Die Unschuld seufzt, und wir erheben
Zu einer Nemesis den Blick.
Wenn harte Tage schwer um heil'ge Stellen ziehen:
Dann drängt sich jener Glaub' an unser Herz, und hält
Uns seine Bürgschaft vor aus einer fernen Welt,
Ans einer Welt der Harmonien,
In der das Würdige den Feierkranz erhält.

Sieh dort die Unschuld hin durch ihre Blumen schweben!
Wird keine Gottheit sich zu ihrem Schutze weihn?
O, möge doch das Schicksal ihr ein Leben
Aus Rosenluft und Abendstille weben!
Sie fürchtet nichts, ihr Herz ist ja so rein;
Sie ist so selig, wenn sie unbefangen
Hinaus zu ihren Menschen geht;
Sie ist so heilig, wenn, mit Lächeln auf den Wangen,
Sie vor dem finstern Hasser steht;
Sie hört noch nicht das giftige Gezische,
Das näher schon durch ihre Blumen rauscht;
Sie ahnet nicht die Schlang' im Dorngebüsche,
Die tückisch ihren Gang belauscht.
Das Unheil naht! Ach! wehrt kein Engel? Schone! schone! –
Die Schlange bricht hervor durch das Verhüllungslaub!
Der Sykophant erscheint! die Unschuld wird sein Raub!
Er reißt von ihrer Stirn die zarte Rosenkrone;
Er tritt sie nieder in den Staub!
Und weinend hängt dein Blick am teuern Raube;
Zu einem Himmel seufzest du hinauf!
Sucht dieser Seufzer nicht, weit hinterm Erdenstaube,
Da stille Land der Unschuld auf?
Unwiderstehlich dringt der Glaube
An eine Geisterwelt sich deinem Herzen auf.

So ringe dich empor, den Glauben zu umfassen,
Den Mittler zwischen dir und einer Götterwelt!
Ihn, der nie dich verläßt, ihn könntest du verlassen? –
Wenn du die Frevelthat verdammst:
Dann glaubst du, Freund, an einen Himmel;
Wenn du für Recht und Wahrheit flammst.
Dann lebst du schon in einem Himmel.
Tritt hin vor eine That, die selig dich ergreift!
Schau, wie der Seelenflug kaum an dies Leben streift;
Und wenn du vor Entzücken trauerst,
Und wenn es weihend dich, wie Gottheit, überfällt:
Dann heiligt dich dies Graun; du schauerst
Vor deinem eignen Geist, vor deiner innern Welt.

Es muß ein höchster Geist den Geist der Tugend ehren,
Die er so himmlisch uns entgegenführt,
Wenn nicht umsonst der Sinn für Recht so tief uns rührt;
Zu einer höhern Welt muß noch der Mensch gehören,
Wenn um das Leben nicht das Dasein uns betrügt;
Und die Vernunftwelt ist, wenn die Vernunft nicht lügt.
Und lügt sie: dann ist selbst mein Dasein eine Lüge –
Durch die Vernunft nur bin ich, was ich bin –
Mein heiligster Beruf ist leer und ohne Sinn.
Je höher mich die Kraft des innern Lebens trüge,
Je tiefer sänk' ich nur dahin. –

Fürwahr, der Mensch ist hoch erkoren.
Der Ruf zur Pflicht ist Ruf zum Himmel, ist ein Schwur,
Womit die Ewigkeit uns Dauer zugeschworen,
Hier bei dem feiernden Altare der Natur.
Ja, dem Gewissen ist ein hohes Wort gegeben;
Es spricht: – "Der Götterwelt, o Mensch, gehört dein Leben." –
Dies Dasein ist ein sinkendes Geschwätz,
Das am Cypressenhain verklinget;
Zu einem Leben, das sich höher schwinget,
Ruft uns im Innersten ein heiliges Gesetz.

Voll Ernst ist das Gesetz, das auf Vollendung dringet,
O, furchtbar Ernst in seiner Majestät!
Doch sieh! welch' ein Triumphzug naht von ferne!
Der Sieg, die Tugend ist's, mit Kränzen überweht.
Es wandeln Grazien – wie Sterne
Vom Sonnenlicht umglänzt – in ihrem Wiederschein.
Urania verläßt den großen Strahlenhain
Von Sonnen, welche sie umblühen,
Verläßt die Sphärenmelodien,
Und mischt sich in den Zug der Tugend ein.
Dahin laß uns den Blick, dahin den Geist uns wenden!
Wir dürfen uns der hohen Weihung freun.
Das Himmelspfand in unsern Händen
Ist – eines Himmels wert zu sein.
So ist schon hier die Seligkeit geboren;
Dem Frommen ist erfüllt, was ihm sein Gott verhieß;
Nur die Verlornen, sie verloren
Für diese Welt ihr Paradies.

So steh' dann auf von diesem Schattenspiele,
Das, wie ein Leben, durch das Leben zieht!
Verlaß den Trümmerbau der Eitelkeit, und fühle,
Was über sie erhebt, und was mit ihr entflieht!

Roms Söhne fielen in die Ketten
Der Sklaverei vor ihrem Cäsar hin.
Es trat der letzte Römersinn
In Brutus auf, sein Volk zu retten;
Doch er erliegt, und flucht im Fall noch einen Strom
Von wild empörten Lästerungen
Der Tugend ins Gesicht. Sein Rom war ihm entrungen.
O, Brutus! heißt die Tugend Rom?2
Bedarf sie eines bald erloschnen Strahles
Vom Glanz des Erdenglückes? Nein!
Hier konnte – durfte nicht ihr Götterhimmel sein;
Nur ihren Tempel schmückt der Frühling dieses Thales.

Wie ein Werk Gottes, still und groß,
Erhebt die Tugend sich in ihrer eignen Würde.
Was auch des Schicksals Hand auf ihre Tage bürde:
Sie reißt sich kühn von niedern Banden los.

Das Schicksal waltet im Naturgebiete,
Und die Natur geht schweigend ihren Pfad,
Nährt hier ein Giftgewächs und eine Frevelthat,
Bricht dort ein Engelherz und eine zarte Blüte.
Notwendigkeit ist das Gesetz der Welt,
Worin der Wahnsinn lebt, und Hehras Leben fällt.
Sie trägt so gut den Narrn, der ihre Blumen pflücket,
Wie den geweihten Mann, der seinen Kranz erwirbt.
Der graue Sünder lebt; ein Steingewächs erdrücket
Die Lebenskraft, und Büffon3 stirbt.
Es sinkt der Mensch, der wie ein Gott gehandelt,
Wenn eine Fiber stockt, ins Grab.
Die Wolke forscht nicht, ob die Unschuld unten wandelt:
Sie schüttet ihren Blitz herab.

Die Welt hat nur die Welt zu geben;
Der Hunger weidet hin durch ihre grüne Flur;
Das innre, geistige, geheimnisvolle Leben,
Genährt von Himmelstau, schlägt seine Wurzel nur
In das Gebiet vergänglicher Gestalten.
Da drängt es ringend sich hervor
Aus der Umfangenheit von irdischen Gewalten,
Und trägt sein Kronenhaupt wie ein Triumph empor.

Gewaltig kämpft und drängt das Würdige, das Große,
Zum Leben sich herauf. Ein Hauch entküßt dem Schoße
Der Dunkelheit die Blum', er küßt den Halm hervor;
Nur eine laue Nacht, und Haine blühn und Fluren.
Aus grauser Tiefe tritt das Hohe kühn hervor;
Aus harter Hülle kämpft die Tugend sich hervor;
Der Schmerz ist die Geburt der höheren Naturen.

Dem Menschen lächelt noch der mütterliche Blick
Der irdischen Natur, und milde Sterne walten;
Doch wie nun wird sich ihm das innre Sein entfalten? –
Am Lebenseingang steht das treibende Geschick.
Sie braust daher, des Schicksal finstre Stunde;
Sie reißt die Well' empor, sie jagt das Leben auf;
Sie wühlet stürmend, was im Grunde
Der Flut verborgen liegt, herauf.
Nicht jeder Fluß trägt Gold im Sande;
Der über nackte Kiesel rollt,
Wirft Kiesel aus am Uferrande,
Der über Goldstaub woget, Gold.
Dein Garve, Freund, spricht, mitten in dem Krampfe
Der Schmerzen, freundlich, wie die Huld,
Und siegend, wie die Weisheit, von dem Kampfe
Und vom Triumphe der Geduld.
So frei ist sein Gemüt, so stumm ist jede Klage
Der leidenden Natur; so stumm,
Als lägen hinter ihm die martervollen Tage,
Als säh er lächelnd sich nach ihnen nur noch um.
Dem Mann – und sucht' ihn auch die Sonne
Im Hüttendunkel auf – ihm biete kein Tyrann,
Es biete keine Macht ihm Ketten an!
Ihn schreckt das Elend nicht, bethört nicht Lebenswonne.
Wer mit dem klaren Sinn des unbefangnen Blicks
Den bunten Markt des Lebens überschauet,
Und seinen Frieden nicht dem Launenspiel des Glücks,
Nicht sein Unsterbliches Vergänglichem vertrauet:
Der ist ein Lebensheld, ein Sieger des Geschicks.
Heil dem geweihten Geist, der so sich aufermannet!
Verbannt ein Nero ihn: der feige Wüterich
Verbannet ihn nicht, er verbannet
Aus eines Gottes Nähe – sich;
Für ihn, den Hohen, hat kein Schwert mehr eine Schärfe;
Die Schuld nur hat das Recht, uns weh zu thun:
Der Weise wird – wohin das Schicksal ihn auch werfe –
Mit seiner Tugend sein, bei seiner Unschuld ruhn.

Da, wo die Unschuld ruht, und von der Luft umgeben,
In der sie wandelt, fühlt der Sünder, was er ist. –
"O, Tugend!" seufzet tief Elpinors innres Leben –
"Daß du so himmlisch und so schrecklich bist!" –

Der letzte Tageslaut verklang in dunkler Ferne;
Still wandelte die Nacht durch die Natur;
Wie Augen Gottes, sahn die Sterne
Des Himmels nieder auf die Flur:
Da schlich Elpinor, wie zum Raube
Der Tiger schlicht, zur Rosenlaube,
Wo Holdys Engel wacht – und fort
Aus der Natur scheint aller Zwist geschieden;
Doch spricht ihr leises Friedenswort
Ins tobende Gemüt Elpinors keinen Frieden;
Sein Innres brütet Unschuldsmord.
Er naht der Laube sich, wo durch das dunkle Schweigen
Ein ahnungsvoller Schauer rann:
Da weht es ihn, aus Holdys Rosenzweigen,
Wie seufzendes Geflüster an.
Er horcht – die Fromme betet für das Leben
Der Mutter, deren Trost und Pflegerin sie war,
Und sieh! vor diesem frech entheiligten Altar
Ergreift den Sünder jetzt ein nie gefühltes Beben.
Ein Glanz der stillen Nacht durchzuckt den Fruchtbaum-Wald.
Da schimmert durch die Laubenranken,
Die hin und her im Abendwinde schwanken,
Die schöne, betende Gestalt.
Die Zweige, die den kleinen Tempel decken
Wo fromm und heilig Holdy kniet,
Sie drohn dem Wüstling Gottes Schrecken;
Zur Hölle wird um ihn die Gegend; – er entflieht.

Das Laster flieht zu seinen Finsternissen,
Wenn sich die Tugend naht. Was ihren Blick umflammt,
Ist ein erscheinendes Gewissen,
Das schweigend den Verworfenen verdammt.
Und nieder schlägt er vor dem Schweigen
Der Heiligkeit und Wahrheit seinen Blick.
Der gräßliche Tiber4, nie kehrt er zu den Zeugen,
Die seine Schande sahn, zurück.
Der Sünder fühlt zu tief, daß in dem hehren Blick
Der Tugend sich ein Gott verkünde;
Ja, wenn sie längst schon, trauernd und verhüllt,
Aus einem Leben floh: dann hängt ihr helles Bild
Noch im Gefühl, und blitzt durch das Gebiet der Sünde,
Wie eine Glanzgestalt durch das Gebiet der Nacht.
Sie ist's, die schaudernd auf in Alexander wacht,5
Wenn er den Mantel auf die Wunde
Des von ihm hingewürgten Persers deckt,
Der, würdiger, als er, aus seiner Todesstunde
Verzeihend noch die Hand nach seinem Mörder streckt.
Wir sehn den fürchterlichen Überwinder,
Der, mitten im Triumph, der jauchzend ihn umstürmt,
Wie angeschreckt von Gott, die Gattin und die Kinder
Darius' – vor sich selbst – mit seinen Armen schirmt.
Das ist die Kraft, vor welcher zitternd
Die Heuchelei verhüllt ihr Opfer niederlegt;
Das ist die Kraft, womit erschütternd
Der hohe Mensch Tyrannen niederschlägt.
O, neige dich, Tyrann! vor einem Geist, der stärker,
Der mächtiger, als du, sein eignes Leben schafft!
Dein Thron ist ein erhöhter Sitz im Kerker;
Du hast Gewalt, die hohe Seele Kraft!

Ja, mächtig ist der Glaub' an Tugend, dem die scheue,
Von ihm ergriffne, Schuld vergebens widerstrebt;
Und, o wie fürchterlich! wenn die Gestalt der Reue
Vom Lager der Verzweiflung sich erhebt,
Auf daß im Unrecht selbst das Recht sich uns verkünde:
Das ist der Gottesdienst, womit die Sünde
Die Tugend feiert, und erbebt.
Auch was in zartern Seelen lebt,
Erfüllt oft das Gemüt mit jenem Wehmutschauer,
Der, wie ein Ahnungstraum, ins innre Leben tritt:
Die Psyche brachte diese sanfte Trauer
Vom Scheidekuß der Götter mit

Den frevelnden Odin verfolget dieser Glaube;
Er wandert durch den Wald; um ihn ist Nacht; er lauscht,
Und horcht erschrocken auf, wenn tief im finstern Laube
Ein unsichtbares Leben rauscht.
Was flatterte? – Die Unschuld einer Taube
Jagt Todesschauer ihm ins Ohr.
Ihn faßt ein pressendes Gezitter;
Aus schwarzen Grotten tönt es, wie ein Fluch, empor;
Es ist, als murmelten ihm schlafende Gewitter
In Träumen ihre Donner vor.
Was macht die Phantasie zum finstern Zauberwerke,
Die Furcht zum Nachtgespenst, das aus den Büschen klagt,
Und auf den Hügeln wankt? Was ist es, daß die Stärke,
Die keinen Gott bedarf, ihm ihren Mut versagt,
Daß er vor luftigen Phantomen zittert?
Vor welchem Graun entflieht der prahlerische Spott? – –
Es ist die Geisterwelt, die mächtig ihn erschüttert;
Ihn schrecken Tugend an, Unsterblichkeit und Gott.

Die sanftern Ahnungen der Geisterwelt begleiten
Des innern Lebens Harmonie.
Zu Himmelsgeistern werden sie
In dem Gemüte, das sie weihten.
Sie sprachen uns mit leiser Sympathie
Im Blick der Unschuld an, die, gleich dem reinen Taue
Der neu besproßten Morgenaue,
Noch unbefleckt am jungen Leben hängt.
Wie heilig ist die Welt, wo in dem zarten Kinde
Die reine Menschheit dich umfängt!
Sieh deine Mali –! Noch hat nicht die Welt der Sünde
Sich zwischen sie und Gott gedrängt.

O, mög' es in der Brust des Sünders warnend schlagen,
Der sich mit frechem Thun dem zarten Knaben naht!
Der Kindesreinheit fehlt das Wort, ihn anzuklagen;
Ihr heil'ger Blick verurteilt seine That!
Und, weh! kein Gott vermag, ihn zu erstatten,
Den süßen Morgentraum aus einer Friedenswelt,
Der vor dem Schatten flieht, vor jenem schwarzen Schatten,
Der von des Sünders Haupt ins junge Dasein fällt.
Um unser Leben wandeln Kinder,
Wie stumme Engel hin, an Lieb' und Unschuld reich;
Der göttliche Prophet, der große Heilverkünder
Gebeut uns: "Werdet Kindern gleich;
Denn ihrer ist das Himmelreich." –
Vergebens strecken sich – ist er einmal geschieden,
Der zarte, reine Kindessinn –
Die Arme nach ihm aus, nach seinem süßen Frieden;
Der Engel ist entflohn, sein Himmel ist dahin! –
Die Frevlerin dort hört die Wetterwolke schelten;6
Sie faßt ein Kind, und wähnt sich heilig überschirmt. –
Du, Unschuld, reiner Strahl aus bessern Welten,
Um dich ist Ruh', ob auch das Leben draußen stürmt!
Wer aber kann vom Graun der finstern Schuld befrein?
Ein heiliges Gemüt ist Licht im dunkeln Hain;
Wo Engel sind, ist Gott; und reine Seelen weihen
Den Himmel erst zum Himmel ein.

Der Glaub' an Tugend ist die sanft Purpurstelle,
Das frische Morgenrot der neuen Tageshelle,
Das unsern innern Tag ergänzt,
Und leuchtender an schönen Seelen glänzt.

In dieser Glorie stand Hehras Seelenleben,
Wie eine selig heitre Flur,
Um welche Friedensgötter schweben.
Da war, von Ruh' und Harmonie umgeben,
Nur Heiligung die waltende Natur.
Wo Hehra wandelte, da weihten
Die Grazien der Huld den lieblichsten Altar.
So wußte sie um sich den Himmel zu verbreiten,
Und wußte nicht, daß sie ein Engel war,
Der, selber nichts verschuldend, nichts bereuend,
Mit einem Blick, den holdes Mitleid näßt,
Sich dem Gefallnen naht, und sanft und schön verzeihend,
Auf seinen Fehl den Schleier fallen läßt.
Ihr Rückschaun war ein seliges Erinnern,
Das, wie ein stiller Gott, vor ihrem Geiste stand,
Wenn ihre Ruhe sie in sich, in ihrem Innern,
Ihr Leben nur in andern fand.
Wenn grause Stürme sich durch ihre Tage rissen:
Sie war ihr eigner Stern im Graun der Finsternis;
Denn jegliches Gefühl war ein Gewissen,
War eine heitre Nemesis.
Wo taumelt eine Seele durch Gefilde
Der Lust, um die Betäubungsdüfte wehn?
Sie schau' in dies Gemüt! sie wird an Hehras Bilde
Nicht ungerührt vorübergehn.

Kind der Lust, du leicht beschwingte Seele,
Die durch lauter Rosenhaine fliegt!
Dein Gefühl ist eine Philomele,
Welche sich auf vollen Ästen wiegt.

Zaubermächtig singen alle Räume
Deines Lebens deinen Frieden ein;
Deine Tage sind entzückte Träume;
Du erwachst, – und bist mit dir allein!

Rausche fort in bunten Wirbelreigen:
Nahe bleibt der Gott, den du entfernst!
Schaue! hinter deinen Rosenzweigen,
Da, da steht des Lebens hoher Ernst!

Was erheben soll, will nicht berauschen;
Wie ein Geist in stiller Finsternis,
Wird ein heilig Wesen dich belauschen:
Fliehe nicht vor deiner Nemesis!

7 Was leitet unsern Geist, wenn seines Pfades Krümme
Sich drängend hin durch Labyrinthe flicht?
Es ist die Nemesis, die wunderbare Stimme,
Die aus der Geisterwelt zu ihm herüber spricht,
So siegend spricht, daß er nicht widerstehen,
Daß sich das Herz ihr nicht verschließen kann.
Befremdet hört die Sinnlichkeit sie an;
Und zagend schaun wir zu den Höhen,
Wohin die Stimme ruft, hinan;
Sie zeuget furchtbar laut von ihrer hohen Sendung,
Und fordert und verbürgt die ewige Vollendung,
Das große, wunderbare Sein,
Wo jene freiern Seelen wohnen,
Die sich mit unbeflecktern Kronen
Der Heiligkeit des nächsten Himmels weihn.

Oft steht, uns mächtiger empor zu schüttern,
Weg-weisend ein erhabnes Leben auf,
Wie eine Gottheit in Gewittern.
Wir stehen da, wir schaun entzückt, allein mit Zittern,
Zur Tugendmajestät hinauf.
Voll Hoheit, und doch mild, ging ihr Gestirn einst auf,
Der größre Sokrates der Christen;
Er riß aus Trug und Wahn und aus der Erde Lüsten
Das hingetäuschte Volk herauf.
Erhaben ging er durch die Jubelrufe,
Wie durch den Priesterhaß, der lauernd ihn umschlich,
Mit einem Mut, der, selbst nicht vor der letzten Stufe
Zum Todeshügel, von ihm wich.
Sieh, welche Freiheit waltet um den Hohen!
Er fürchtet nicht den Haß der frevelhaften Macht.
Weiß er's, daß ihm so nah die Todesqualen drohen?
Wie stürzen hinter ihm und vor ihm die Heroen
Mit ihren Thaten in die Nacht!
Konnt' er vor einem Erdgewitter beben?
Nichts fürchten und nichts achten konnt' er! – Nur
Sein großes Ziel vermocht' er zu erstreben;
Ein Weihaltar war sein erhabnes Leben,
Auf den herab die Flamme Gottes fuhr.

Flamme Gottes ist die Weihung,
Die um große Seelen schwebt,
Und zur kühnen Selbstbefreiung
Jede Kraft des Geistes hebt.

Mag das wilde Schicksal walten:
Die erhabne Seele ruht,
Unter drängenden Gewalten,
Fest auf ihrem Göttermut;

Ringt sich auf vom Druck der Wolke,
Den ihr Flügelschlag besiegt,
Wenn auf dem betäubten Volke
Zürnend das Gewitter liegt.

Wer, in solcher Hoheit thronend,
Kühn es wagt, sein Gott zu sein,
Und, im eignen Himmel wohnend,
Keinen Himmel anzuschrein:

Den umfesseln Zaubergaben
Eines reichen Zufalls nicht.
O, der Freie trägt erhaben
In der Brust das Weltgericht!
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Жалоба
Erstdruck: Halle 1800.
Deutsche Nationalliteratur, Band 135, Stuttgart [o.J.], S. 325-342.

Fünfter Gesang

Im Menschen ist das Ziel des Menschen, der Grund seiner höheren Hoffnungen aufzusuchen. In ihm finden wir, wir mögen ihn in seiner Erhebung oder in seinem Falle beobachten, eine gewisse Kraft, die auf das Bestimmtwerden seines Strebens einen bedeutenden Einfluß äußert. Zugleich wirken auf sein Gemüt Triebe, die auf sinnlichen Genuß sich beziehen. Aus dieser Verknüpfung zweier, einander widerstreitender, Naturen tritt eine rätselhafte Erscheinung, aus ihrer friedlichen Vereinigung aber hohe, idealische Vollkommenheit des Individuums hervor. Jene Kraft, im höheren Grade ihrer Beharrlichkeit, giebt der Wirksamkeit des Menschen einen Schwung, der selbst in seiner verderblichsten Richtung den Beobachter zum Erstaunen fortreißt; das Große darin hält ihn fest. Diese Kraft nun, von einer edleren, wohlthätigen Zweckmäßigkeit geleitet, stellt eine Hoheit auf, die wir mit Entzücken bewundern: sie führt das hohe Bild der Tugend vor die Seele. Da erst, als die Menschheit das Zeitalter der kindlichen Einfalt und Unschuld überlebt hatte, begann das Bedürfnis der Tugend und ihrer tröstenden Hoffnung dringender zu werden.

Das Urbild ihrer höchsten Vollendung steht nun dem engen Zeitinhalt unsers Erdenlebens gegenüber, welches die Möglichkeit ausschließt, jenes zu erreichen; die Vernunft ist also genötigt, eine Fortsetzung unsers Daseins anzunehmen. Der Glaube an dies Fortschreiten des Lebens dringt sich uns unwiderstehlich auf, wenn wir die Unschuld leiden sehen. Die Stimme eines innern Gerichts fordert Gerechtigkeit für sie. Diese innere Stimme, die den Frevel verdammt, und die Unschuld in Schutz nimmt, legt eben dadurch ein Glaubensbekenntnis für ein höheres Leben ab, und das Entzücken, welches eine Edelthat in das beobachtende Gemüt zurückwirft, ist ein Vorgenuß jenes höheren Daseins: oder der Mensch ist zur Lüge geboren, zum Widerspruche mit sich selbst. Unendlich erhaben ist die Bestimmung des Menschen. Ein inneres Gesetz, ein Beruf von Hoheit und Würde ist die Jüngerweihe für ein höheres Sein, das Unterpfand eines Himmels, der Erhebung gebietet. Brutus schmähet die Tugend, weil sie Rom ihm nicht erretten half; allein ihr Reich, ihr Friede[324] ist nicht von dieser Welt. Der Gang der Natur schreitet in den Grenzen der Notwendigkeit fort. Es ist die Aufgabe der höheren Natur des Menschen, im Kampfe mit der sinnlichen, ihre Vollendung mehr zu entwickeln, und in sich und durch sich selbst zu sein. Aus diesem Kampfe geht die geübtere Kraft des bessern Willens glorreich hervor. Der edle Garve verdiente hier wohl, zum Beispiele zu dienen. Während der schmerzvollsten Krankheit, die seinen Tod herbeiführte, und unter Geduld erschöpfenden Qualen schrieb er die schöne Abhandlung über die Geduld, mit einer Kraft, die den edlen Mann so hoch über physische Gewalten erhebt.

In eben dem Maße, wie die Kraft eines würdigen Strebens den Edeln erhebt, wirkt diese Kraft niederschlagend auf das Gemüt des Sünders. Wenn längst aus einem Leben die Tugend entfloh: sie läßt darin eine strahlende Erinnerung zurück; sie ist zu sehr Bedingung des innern Daseins, daß beide: die Heuchelei und die Reue, sich gedrungen fühlen, ihr Huldigungen darzubringen.

Die seltsamen Erscheinungen der Furcht eines strafenden Bewußtseins, sind der Tugend heilige Ahnungen, die im edlern Gemüte zu Himmelsgeistern werden, im Blick der Unschuld uns anleuchten, und Licht und Frieden um gute Menschen verbreiten. Dies Morgenrot eines höheren Lebens strahlte heller an Hehras schöner Seele hervor, im Gegensatze mit einem Gemüte, welches den hohen Ernst des Lebens unter reizenden Täuschungen verliert; aber die Stimme des Bewußtseins schweigt nicht, bestimmt ist sie, als eine warnende und strafende Nemesis unsere Führerin zu sein durch das Leben. Oft läßt sie sich in einem großen Beispiele der siegenden Kraft vernehmen. Christus stellt in der furchtbaren Erhabenheit seines Lebens ein solches Beispiel auf.

Fußnoten

1 Fontenelle, einer der vorzüglichsten und würdigsten Schriftsteller der französischen Litteratur, erreichte ein Alter von hundert Jahren. Unter seinen prosaischen Schriften ist das Werk: Entretiens sur la pluralité des mondes mit Recht das berühmteste geworden. Man liest es mit großem Interesse, wenngleich daraus die lebhaften Galanterien hinwegzuwünschen sein möchten, welche sich mit dem ernsten Geist des erhabnen Gegenstandes nicht recht wohl vertragen wollen. Fontenelle genoß bis an das Ende seines Lebens einer vollen körperlichen Gesundheit, sowie einer ununterbrochnen Klarheit und Heiterkeit des Geistes. Wenige Jahre vor seinem Tode empfand er eine Abnahme seines Gesichts und Gehörs. La modération – sagt sein Biograph – en faisant son bonheur, a sans doute contribué beaucoup à sa bonne santé et à sa longue vie.

2 Als Cäsar Rom unter seine Herrschaft zwang, und Brutus im letzten Kampfe für die Freiheit seines Vaterlandes überwunden war, rief er anklagend aus: "O, Tugend! ist das dein Lohn?"

3 Büffon starb an dem schmerzhaften Übel, die Grieskrankheit genannt.

4 Tiberius, Roms tyrannischer Gebieter, vermochte die Heuchelei nicht durchzusetzen, mit welcher er seine schreckliche Regierung begann. Von Laster zu Laster fortgerissen, floh er endlich von dem Gespenste seiner Schande nach der einsamen Insel Capreä, setzte dort seine Greuelthaten fort, und kam seitdem nicht mehr nach Rom zurück.

5 Es ist bekannt, daß Alexander die Mutter, die Gattin und die Kinder des, von ihm überwundenen, und von verräterischen Persern getöteten Darius, gegen die Sitte der damaligen Zeit, mit wahrhaft königlicher Huld in Schutz nahm. Indes spricht diese Milde den Alexander nicht los von der Mordschuld gegen den persischen Monarchen, der, nach dem Zeugnisse der alten Schriftsteller, der gerechteste, würdigste Regent seiner Zeit war, und den Krieg Alexanders gegen Persien nicht herbeigeführt hatte.

6 Montespan, des vierzehnten Ludwigs Maitresse, fühlte die Verschuldungen, welche ihr Gewissen belasteten, nie stärker, als wenn ein Gewitter am Himmel heraufzog. Mit Angstschweiß übergossen, riß sie ein Kind auf ihren Schoß, und glaubte durch dessen Unschuld gegen die zürnenden Blitze des Himmels gesichert zu sein.

7 Nemesis, eine geheimnisvolle, dunkle Gottheit, wel che die verborgensten Frevel bestraft. Im Menschen ist ihr Repräsentant das Gewissen.

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