Христоф Август ТиджURANIA. 3. GESANG. LEBEN. GLÜCKSELIGKEIT. WAHRHEIT
Es ist ein Gott! O Freund, der heilige Gedanke...
Es ist ein Gott! O Freund, der heilige Gedanke
Durchstrahlt die Nacht, und drängt durch Zweifel sich hervor,
Erhöht, vergöttlicht uns, durchbricht die enge Schranke
Der Sinnlichkeit, und hebt uns über uns empor.
Es ist ein Gott! Kometen rollen
Mit Lebenskräften, ihm entquollen,
In die Unendlichkeit hinaus.
Auf sie, die seinem Blick nicht näher schweben,
Als du ihm wandelst, gießt er Leben
Und Licht in vollen Strömen aus!
Gießt Trieb und Kräfte, fort zu streben,
Beseelend in die Wüstenei,
In die Unendlichkeit der großen Weltenferne. –
Doch warum fragen wir die Sterne,
Ob Gott ein Gott des Lebens sei?
Der Boden, wo du wandelst, schüttert
Von Lebenskraft; auf jedem Strahl,
Mit jedem Hauch des Frühlings zittert
Ein junges Leben in dein Thal.
Welch' Leben schwärmt und säuselt durch die Aue!
Welch' Leben nährt das Moos, der Halm, das junge Laub!
Welch' Leben schwimmt im Schoß der Wolk' und hier im Taue!
Das Mückenheer am Teich – es ist belebter Staub!
Horch hin! und nirgends ist so tot die tiefste Stille,
Es wehet leis' in ihr ein Atemzug empor.
Und hoch aus dieser Flut der großen Lebensfülle
Ragt, wie das Haupt, der Mensch hervor;
Der Mensch, ein Sohn des Staubs, und über Staub erhaben!
Schau! wie zum Engel sich das zarte Mädchen schmückt!
Ein junger Gott blüht auf im wilden Knaben;
Es ist der Mensch, der auf zur Götterhoheit blickt.
Er mißt den Stufengang, tief unter sich hinunter;
Er ahnt den Stufengang, hoch über sich hinauf.
Und dieser Mensch geht dennoch unter?
In wenig Erd' und Tau löst sich der Denker auf?
Der hohe Mensch, der dasteht, und den Lauf
Der Wesenflut umforscht, ist selbst nur eine Welle,
Die, nichtig selbst, aus dieser Flut entquoll,
Und wegsinkt, wenn in ihre Stelle
Die nächste Wallung folgen soll? –
Ist diese grenzenlose Fülle,
Die einen Strom von Sonnenwelten leicht,
Wie Funken, in die dunkle Stille
Hinunter schimmern läßt, ist diese Flut zu seicht,
Ein Menschenleben zu erhalten,
Das jammernd dort am Ufer ringt,
Und, unter drängenden Naturgewalten,
Die Arme zitternd noch ums holde Dasein schlingt?
Was ist es, daß der Mensch so stark, so unerschüttert
Sein Dasein liebt und lieben muß,
Und daß er, wenn er dort erhöhten Selbstgenuß
Von ferne sieht, durch grause Tode zittert,
Und wild in die Gefahr sich wirft?
Er sucht die Ruh', und flieht die stillern Lebensstellen.
Was ist es, daß er tief aus seinen reichsten Quellen
Nur Durst und heißre Sehnsucht schlürft?
Mag ihn die Brandung halb verschlingen:
Noch lüstern schauet er ins wilde Meer hinab;
Er findet mit dem Schmerz sich ab;
Er wagt das Leben hin, um Leben zu erringen.
Und immer ist zu klein der Raum, den er erstritt;
Und immer hört er noch entfernte Götterstimmen;
Ins weitre Dasein will sein Wahn hinüber schwimmen,
Und überall nimmt er das enge Dasein mit.
Er schifft am Wolkensaum, ergreift den Blitz am Flügel,
Und wirft ihn neben sich darnieder in den Staub.
Was hoch steht, ist sein Ziel, das Niedre wird sein Raub;
Er sprengt sie auf, der Erde Felsenriegel,
Behorcht den leisen Gang, belauscht die tiefe Spur
Der heimlich waltenden und schaffenden Natur.
Er wirft ihn ab, den engen Zügel
Der Wirklichkeit, die ihn gefangen hält;
Selbstthätig schafft er eine Welt,
Die Welt der freien Kraft, die in den Spiegel
Der Phantasie aus seinem Innern fällt.
Und in der Schöpfung der Homere
Begeistert ihn der Glanz des eignen Göttertums;
Mit Platons Genius erfliegt er Sphär' auf Sphäre;
Sein ist die Erbschaft ihres Ruhms! –
So reich! und immer ist mit seinem Geist kein Friede!
Und ewig ohne Ruh', als ob er ewig schiede,
Durchfliegt er jeden Kreis der Lebensthätigkeit,
Und überflöge gern den raschen Flug der Zeit.
Dort hinter allen Sonnenscheiben,
Dort liegt das unbekannte Land;
Dahin jagt rastlos ihn ein wunderbares Treiben;
Er zürnt dem Arm, der ihn auf diesen Hügel bannt,
Ins Dunkel stürzt er sich, und glaubt sich unverloren;
Hin greift er über Nacht und Grab,
Reißt hier den dünnen Faden ab,
Dort wird ein neues Leben ihm geboren:
Dies strahlt dem Weisen vor, und blitzt im Traum des Thoren.
Der graue Stein, mit Moos und Rasen überdeckt,
Dies Totenmahl im Raum versunkener Gestalten,
Ist eine Hand, die, noch das Dasein festzuhalten,
Sich starr empor aus wüstem Grabe streckt.
Zwei Stunden Zeit – zu werden und zu schwinden –
Und eine Sehnsucht, die an Ewigkeiten hängt!
Kannst du den Widerspruch ergründen,
Daß ans Unendliche das Endliche sich drängt?
Wer zügelt diesen Drang? er fordert immer wilder!
Des Menschen Wahn, sein Stolz und seine Eitelkeit
Sind nur halb leserlich verzerrte Schattenbilder
Des innigsten Berufs der Lebensthätigkeit.
Vergebens, nur vergebens lüde
Die Götterwelt ihn ein, von der die Phantasie
Das reichste Lebensbild entlieh.
Das Kind wird seiner tausend Spiele müde;
Jedoch des Spiels, des süßen Spieles nie.
Ja, Leben ist es, was im Herzen
Des Säuglings klopft, in seinem Geiste reift,
Der, feind der Dunkelheit, nach Kerzen,
Nach süßer Lebenshelle greift.
Begeistert schaut der Greis, mit halb erloschnem Blicke,
Nach einem Ufer hin, das gegenüber blüht,
Wenn hinter ihm, wie eine lange, schmale Brücke,
Dies Leben sich hinunterzieht.
Und welche Hände konnten, zum Versinken
Im finstern Strom, ihm diese Brücke baun?
Darf diesem Lebensdrang, und seinen holden Winken
Das arme Herz sich nicht vertraun?
Ist dieses innre Weiterstreben
Ein leeres Hinschaun, ohne Ziel:
Dann gab die Gottheit uns zu wenig und zu viel;
Verunglückt ist ihr dann das ganze Menschenleben!
So rechnet kühn der Mensch. Wenn das vermessen ist:
So ist es die Vernunft, die er sich nicht gegeben,
Die sich so freventlich vermißt.
Der große Britte schwand; noch leuchten die Gestirne,
Die er gezählt, bei denen gethront:
Und Blumen keimten nur empor aus dem Gehirne,
Worin ein Weltsystem gewohnt?
Aus jenem Herzensblut, das einst in mattern
Und stärkern Pulsen Lust und Leben ausgedrückt,
Sieht deine Trauer schon die Rosenkrone flattern,
Die Hehras stillen Totenhügel schmückt! –
Versank ihr Geist mit der zerstürmten Hülle:
Dann ist das einzig Leidende – der Mensch;
Dann ist im Raum der weiten Lebensfülle
Das einzig Sterbende – der Mensch.
Die Rose fällt, die Duftgestalt verschwindet;
Allein ihr Staub, der sich durch tausend Formen treibt,
Sich immer wieder trennt, sich immer wieder bindet,
Und blühend aufersteht – er bleibt.
Staub oder Blatt – es bleibt! Ist denn der hohe Engel
Im Menschen, ist der minder wert,
Zu dauern, als das Blatt am Stengel,
Das eine Raupe trägt und nährt?
Wie? oder ist der Mensch, der, selbstgebietend,
Ein freies, lichtes Sein in seinem Busen pflegt,
Er, der in sich die Welt, in sich die Gottheit trägt,
Ist er nur Form, nur Staub, ein Blumenkelch, den wütend
Der letzte Sturm herab von seinem Lenze schlägt?
Es tönt geheimnisvoll in seiner innern Tiefe,
Als ob zum Leben ihn in seiner Brust
Ein tausendfaches Echo riefe;
Doch stirbt er hin mit jeder Lust.
Und warum muß der Mensch durch tausend Tode gehen?
Weil tausendfaches Leben ihm gebührt.
Das ganze Weltall ist ein großes Auferstehen,
Das ewig, ewig weiter führt.
Durch Tode geht der Mensch, damit er leben lerne;
Die Erd' entsinkt, das Reich der Seelen thut sich auf;
Schau hin! die Sonn' erlischt, und tausend Sonnensterne
Ziehn aus der tiefen Mitternacht herauf.
Verlaß den Laubensitz, voll abgefallner Blätter!
Tritt auf den Jura hin! vernimm dort die Natur,
Dies große Lied von Gott, dies Heldenlied für Götter,
Und fühle deine eigne Götterspur!
Wohin das Auge blickt, wie sich die Aussicht weitet,
Wir ahnen einen tiefen Sinn.
Die ganze Gegenwart, die uns umwogt, sie deutet
Auf eine große Zukunft hin.
Vom Schimmerlicht am Sumpf, bis zu dem Kranz von Tagen,
Der blühend durch den Himmel kreist,
O, welche Flut des Seins! die tiefen Wogen schlagen
Bedeutungsvoll an deinen Geist.
Es spiegelt in dem Geist, der so erhaben waltet,
Weissagend mehr als eine Welt sich ab,
Wenn sich das Heiligtum der Nacht vor dir entfaltet;
Und weihend steigt ein Genius herab,
An deine Hoheit dich zu mahnen,
Zu der du feierlich berufen bist.
Unendlichkeit kann nur das Wesen ahnen,
Das zur Unendlichkeit erkoren ist.
Wie klein versinkt vor ihr das Große,
Worin der niedre Trieb sich hoch vergöttert wähnt!
Sie, die Unendlichkeit, verwahrt in ihrem Schoße,
Wonach das weite Herz sich sehnt.
Und darum schwankt der Mensch; kaum trägt er seine Liebe
Der Huld entgegen, die von fern ihm winkt;
Kaum flicht er seinen Kranz: so welkt die Ros' und sinkt;
Er flieht von Traum zu Traum, als ob ein Geist ihn triebe;
Er flieht aus sich hinaus, und fordert Seligkeit;
Er greift, und was er faßt, ist ein Gewächs der Zeit.
Sei groß, sei stolz, ein hoher Weltgebieter,
Und hell umleuchte dich des Glückes Sonnenlicht,
Der Erdengüter Glanz: du hast nur Erdengüter;
Glückseligkeit, die hast du nicht.
Und doch, als ob er dort und da vielleicht sie fände,
Schwärmt hoffnungsvoll der Wunsch hinaus!
So strecken ewig tausend Hände
Nach ihr sich unermüdet aus.
Ihr ruft der niedre Sklav am Ruder der Galeere;
Ihr winkt der hohe Sklav in bunter Fürstenpracht;
Es fragt der Geiz nach ihr im weiten, wüsten Meere,
Und hört die Warnung nicht aus der Gewitternacht;
Er gräbt nach ihr im finstern, goldnen Schacht,
Und findet gelben Staub, und eine dumpfe Leere;
Der Hochmut träumt von ihr in seiner Dunkelheit,
Und bettelt feig um sie bei einer armen Lüge
Des Ehrenschmucks, den die Gewalt verleiht;
Der Dünkel fordert sie – als ob sie Kronen trüge –
Vom Schaugepräng der Macht und ihrer Eitelkeit;
Dort jagt nach ihr der Held durch eiserne Gefilde,
Und stürzet dort vor einem Schattenbilde
Verblutend hin – auf einen Lorbeerkranz. –
Was innen leuchtet, dünkt uns ein entfernter Glanz.
So glaubt der Mensch an einen Hügel Erde,
Worauf so kurz die schönste Stunde blüht;
Er wähnt, daß diese Welt den Funken löschen werde,
Den Flammendurst, der tief in seinem Wesen glüht.
Nimm hin den Kelch der Lust; zweimal hast du getrunken,
Vergöttert dich gefühlt; und schon
Ist von der Lippe weg der Nektarkelch gesunken.
Auf! richte dich empor! du bist des Himmels Sohn.
Die Götterfrucht grünt nicht am Halme
Des Lebens auf im engen Thal der Zeit.
Und wenn die Seligkeit mit ihrer schönern Palme
Das neue Himmelsleben weiht:
Auch dann wird sie noch unserm Herzen fehlen,
Bei jedem neuen Feierkranz;
Wir mögen tausend, tausend Kränze zählen;
Doch nie besitzen wir sie ganz.
Sie weilet nicht in stolzen Fürstenhallen,
Sagt vom beglückten Bösewicht sich los;
Nur eine Blume läßt ihr Ausflug niederfallen,
Und diese fällt der Tugend in den Schoß.
Sie flieht, wenn du kaum wähnst, sie zu erreichen,
Zu immer blühendern Gesträuchen,
In welchen sich ihr Ziel verliert.
Und warum fliehet sie so eilig,
Und läßt das Herz zurück, das sie so stark entführt?
Das große Ziel ist ihr zu heilig,
Und die Vergötterung zu reich, zu himmelvoll,
Zu der ihr Strahl hinüberleuchten soll.
Sie strahlt uns an in halb verhüllter Klarheit,
In schöner Stille, wie der Stern
Der hohen, nie errungnen Wahrheit,
Von fern, und immer nur von fern.
Kaum naht dein Blick sich diesem Stern,
Kaum siehst du ihn den Kreis beglänzen,
Der sich für deine Pflicht erhellt:
So steht er auch schon auf den Grenzen,
Und leuchtet hin nach einer höhern Welt.
Doch täuscht vielleicht in ihrer Zauberhülle
Die Ferne mich, wohin kein Seherauge dringt?
Weissagt mir dieser Mut, der nach Erkenntnis ringt,
Weissagt er nicht das Heil der aufgeschloßnern Fülle?
Dann sprich, warum, warum ward uns der Drang verliehn,
Der tiefe Wahrheitssinn, der feierlich und kühn,
Wie ein erhabner Seher, zu den Räumen
Der Unermeßlichkeit hinüber reißt?
Woher der immer rege Geist,
So über sich hinaus zu träumen,
Um dort zu fordern, was ihm hier gebricht? –
Aus Licht ist er zum Licht geboren;
Zu einem höhern Los' erkoren,
Ist seine Heimat hier auf Erden nicht.
Hier ist der Vorsabbath der höhern Lebensfeier,
Die Morgenstunde, die den Späher weckt,
Hinauf zu schauen zu dem Schleier,
Der uns das Heiligtum verdeckt.
In diesem Dunkellichte halten,
Zwar Täuschung noch, und Wahn und Trug,
In wechselnden und streitenden Gestalten,
Durchs Leben ihren Schattenzug.
Es sei, daß hier der Mensch im täuschenden Gewirre
Verlockender Gestalten sich verirre:
Nach Wahrheit, nur nach Wahrheit ringt sein Geist.
Und sollt' er dennoch nie das weitre Ziel erstreben,
Das heilig ihm der Genius verheißt?
Ja, weihet opfernd sich dem Wahn ein edles Leben:
Ist das die Wahrheit nicht, der dieser Sieg gebührt?
Die hohe Göttin ist es immer,
Die so den Mut begeistert, so entführt;
Ob auch im Wahn ihr holder Schimmer
Ihn mit gebrochnem Strahl berührt.
Nur leise kündend naht die Sonne sich dem Volke;
Ihr Flammenantlitz ist auf Morgenduft gemalt:
So mildernd ist die schöne Rosenwolke
Nicht Sonne zwar, doch sanft von ihr bestrahlt.
Dies ganze Dasein ist ein Spiegel,
In den ein blasses Bild der hellern Zukunft fiel;
Und fort reißt uns die Zeit mit ihrem raschen Flügel.
Wohin? Ein ewig Dort ist ihr entferntes Ziel.
Laß zur Geschichte, diesem Sarkophage
Der toten Zeit, laß uns hinuntergehn!
Laß ihren grauen Schatten auferstehn,
Und die verhüllten Geister dunkler Tage
Vor deinem Geist vorübergehn!
Den fremden Zug beginnen finstre Stunden;
Und andre sind mit Blut getauft;
Sie weisen trauernd hin auf tief geschlagne Wunden;
Durch Wunden hat die Menschheit sich erkauft!
Dann färben heller sich die grauen Nebeldünste;
Wie unter tanzenden und schönen Kindern, tritt
Im Chor bekränzter, Arm in Arm geschlungner Künste
Die Fabel lächelnd auf, und bringt die Wahrheit mit.
Die Zeiten sind weissagende Kassandern1;
Und die Vergangenheit schließt uns die Zukunft auf.
Horch! sie verkündet uns ein großes Völkerwandern!
Die Menschheit ringt schon hier von einem Ziel zum andern;
Sie kämpft sich immer mehr zur Menschlichkeit hinauf.
Am Peneus2 trat ein junges Leben auf;
Es flatterten die zarten Liederseelen,
Wie Nachtigallen aus der Myrt', empor.
Da horchte tief, aus seinen Felsenhöhlen,
Der aufgesungne Menschensinn hervor.
Es zog ein milder Geist durch das entzückte Ohr
In jeden sanft gestimmten Busen,
Und trug ein blühendes Elysium hinein.
Arkadien ward nun ein Liederhain,
Und Hellas3 ehrte seine Musen.
Des Lebens höchste Blüte schloß sich auf;
Das Göttliche, die Kraft des Guten und des Schönen,
Verkündete sich ihm in zaubervollen Tönen,
Und hob zur Göttlichkeit den freien Geist hinauf.
Da trat hervor die Lieb' aus ihren Myrten;
Sie heiligte den jugendlichen Tanz;
Die wilde Lust verschwand, und Heldensöhn' und Hirten
Umflog der schäferliche Kranz.
Die Charis4 lächelte die stürmenden Heroen5
Hinein in ihre sanftre Welt!
Da ward das Liebliche dem Hohen,
Das Sanfte ward dem Großen zugesellt.
Geweckt von seinem eignen Strahle,
Vernahm der Mensch sich selbst und was in ihm begann!
Der Genius erflog das Reich der Ideale,
Dort brannt' er flammender den Himmelsfunken an:
So glorreich warf er ab die Bürde,
Die ihn zur Erde zog; er ging aus sich hinaus;
Und das Geheimnis seiner innern Würde
Sprach über ihn das Wort der Weihung aus.
Nun glänzen die hellenischen Gefilde
Von einer Schöpfung himmlischer Gebilde,
Die jeden Lebenstraum zu einem Tempel weihn,
In welchem hohe Götter walten.
Die Grazien der Weisheit ziehen ein;
Erhabne Worte spricht der Hain;6
Und Wahrheit hüllt in freundliche Gestalten
Des Urlichts reinen Wiederschein.
Wie hold umfängt sie uns in Psyches sanfte Trauer!7
Ein Gott hat diesen Traum in Himmelsduft getaucht,
Und ihm, mit einem Geisterschauer,
Den zarten Sinn des Lebens eingehaucht.
Hell, mit Blüten überschleiert,
Lauscht des Hains geweihte Nacht,
Wo die Gottvermählte feiert;
Aber eine Stimme wacht.
Psyche schwebt durch Rosenzweige;
Alles blüht in heiterm Licht.
Stimme der Entführung, schweige!
Aber ach! sie schweiget nicht.
Psyche, trotz dem Warnungsrufe,
Hört den Zauberton der Welt,
Neigt sich von der Götterstufe
Lüstern nieder, horcht – und fällt.
Psyche fällt! ein dunkles Ahnen
Zittert um die Büßerin,
Wie das Graun erzürnter Manen,
Durch die sanften Rosen hin.
Schatten sind's, die sie umgeben.
Wie ein holdes Traumgesicht,
Schwand der Gott aus ihrem Leben,
Nur aus ihrem Herzen nicht.
Blühte das Gesträuch nicht röter,
Das in Kronen sich ergoß,
Als der reine Himmelsäther,
Noch um Psyches Wange floß?
Ach! die Schuld im Busen schattet
Tief herauf in ihren Blick;
Seufzer flehn, von Gram ermattet,
Den verlornen Gott zurück.
Alles stumm, wo Psyche wallet;
Nur ein leis' entwehtes Ach,
Das den Hain durchgirrte, hallet
Ihr die Felsentochter nach.
Auch den Gott, der alle Ketten
Des gedrückten Lebens bricht,
Ruft sie an, sie zu erretten;
Doch der Gott erhört sie nicht.
Seine finstern Schrecken zeigend,
Naht der stille Genius,
Und versagt ihr, ernst und schweigend,
Den erflehten Friedenskuß.
Endlich ist es ihr gelungen,
Abzubüßen ihre That;
Endlich hat sie ausgerungen;
Die Erlösungsstunde naht.
Hohes, himmlisches Erbarmen
Geht ihr auf, wie Sonnenblick;
Psyche kehret zu den Armen,
Denen sie entsank, zurück.
Lichte Kronen in den Händen,
Nahn die Götter sich, und weihn,
Psyches Gottheit zu vollenden,
Sie zur Braut des Himmels ein.
Hier ahnest du den Geist, der über die Beschwerden
Der dunkeln Pilgerschaft ein mildes Dämmern gießt.
In diesem Schauerlichte schließt
Den schönen Lebensbund das ernste Sein und Werden.
O, laß uns in das Götterland,
Ins liebliche Gebiet der Fabelauen,
Das unterging, und nicht verschwand,
Mit hohem Ernst laß uns hinüber schauen!
Noch leuchtet Platons Geist, der, wie ein Sonnenblick,
Einst durch die Lenze Griechenlands gelodert;
Trotz der Natur, die giebt und wiederfodert,
Blieb uns sein Genius zurück.
Dort brachen Sonnen durch, die Nebel zu zerteilen,
Womit die Nacht den Tag umwand.
Ein Sokrates, ein Solon, ein Kleanth8,
Hell leuchten diese Feuersäulen
Hinüber ins gelobte Land.
Nach diesen Geistern laß uns schauen,
Wenn drückend über uns das Erdendunkel liegt!
Verkünden sie uns nicht ein leises Morgengrauen,
Das rettend sich an dieses Dunkel schmiegt?
Ein jeder Blick von einer lichten Hore,
Die einen Strahl der Wahrheit uns vertraut,
Ist eine triumphierende Aurore,
Die durch das Morgenthor der großen Zukunft schaut.
Ein jeder Schritt, den unser Streben
Dem Reich der Wahrheit abgewinnt,
Er ist ein Schritt hinein ins heitre Geisterleben.
Jedoch, daß wir durch dieses Labyrinth
Nur langsam uns der Fülle näher winden,
Dies treibt in uns die Kraft zum Streben auf;
Und daß wir sie nur ahnen, nicht ergründen,
Dies ist ein hoher Wink; er winkt hinauf! hinauf!
Ja, dieses Ahnen: einst die reifre Frucht zu brechen,
Zu wandeln einst in einem reinern Licht,
Ist ein geheiligtes Versprechen,
Womit ein Gott die Zukunft uns verspricht.
Mit diesem feierlichen Gottesworte,
Mit dieser Handschrift, deren Sinn
Mir Ewigkeit verheißt, tret' ich gerettet hin
Zu jener finstern, tief verschwiegnen Pforte,
Und fordre – denn die Handschrift lügt mir nicht –
Das Leben, welches sie verspricht.
Nur darum senden weit entlegne Sterne
In unsre Wolkentag' ein mattes Licht herein,
Daß unser Geist im dicht verhangnen Lebenshain
Sein eigner Schutzgott werden lerne.
Doch heller wird's um unsern Pfad,
Wenn sich durch das verhallende Getümmel
Der Gegenwart mit seinem stillen Himmel
Der Genius der Zukunft naht.
Er offenbart sich in der hohen
Begeistrung einer schönen That;
Begegnet uns, wo wir der Welt entflohen,
Die zwischen uns und unsern Frieden trat,
Und heiligt zum Genuß der innern Lebensfülle
Die Einsamkeit, die in der Flut
Des Weltgewühls, wie eine stille,
Verborgne Friedensinsel, ruht.
Da sieht der freie Blick den Strom vorübergleiten,
Sieht wie das Küstenland verhüllter Ewigkeiten
Am fernen Horizonte sich erhebt;
Das Morgenland, wohin das Heimweh unsrer Thränen,
Dies tiefe, nie gestillte Sehnen,
Geheimnisvoll hinüber strebt.
Erstdruck: Halle 1800.
Deutsche Nationalliteratur, Band 135, Stuttgart [o.J.], S. 292-306.
Dritter Gesang
Lebenssinn, Durst nach Glückseligkeit, und Wahrheitstrieb sind die leisen Ahnungen unserer Fortdauer.
Ausgestattet ist der Mensch mit einem, weit über dies Dasein hinausreichenden, Lebenstriebe, der ihn, Befriedigung suchend, durch Gefahren hinreißt; und immer ist ein entferntes Dort, woran seine Erwartungen hängen.
Die höchste Anstrengung seiner Thätigkeitskraft und die Unzufriedenheit, selbst im Besitze des reichhaltigsten Daseins, bezieht sich auf Lebenserweiterung, für welche kein Opfer ihm zu groß ist. Ja, er verschmäht es nicht, das Schattenleben eines Totenmahles in seine Phantasie aufzunehmen. Sein Wahn, seine Thorheiten sind verzerrte Schattenbilder dieser Sehnsucht, deren Ansprüche selbst die Vernunft vertritt.
Ebenso über die Grenze dieses Daseins hinausgreifend ist das Ringen des Menschen nach Glückseligkeit. Er fühlt tief, daß er sie bedarf, und daß sie ihm mangelt. Daher seine Unbeständigkeit. Vergebens sucht er überall den Himmel seines Herzens auf. Es häufe sich um ihn der Überfluß aller Lebensgüter: er besitzt die Glückseligkeit nicht. Aus der Unendlichkeit strahlt sie herab, wie das Leuchten der Wahrheit.
Dieses Leuchten der Wahrheit endlich, dieser Reiz der Erkenntnis reget den Forschertrieb auf; er erhebet sich, und steht vor einer unerschöpflichen Fülle. Der Eintritt in das Gebiet der Unermeßlichkeit ist schon hier ihm eröffnet, und läßt ein ewig fortschreitendes Leben der Erkenntnis ihn ahnen. Welch ein bedeutender Fortschritt der gesamten Menschheit ist es, der sich zwischen der rohen Menschennatur und der feinen Griechenkultur wahrnehmen läßt! Die Weisen der Vorzeit sind Morgensterne eines heraufdämmernden Tages; und jeder tiefere Blick in das Heiligtum der Wahrheit ist ein aufgehendes Morgenrot, welches der lichtvolleren Zukunft vorausgeht. Der Genius der Zukunft tritt in den Stunden der Einsamkeit tröstend vor die Seele; und wie aus fernem Nebel dämmert das Land unsrer Hoffnung empor.
Fußnoten
1 Kassandra, eine Tochter des Priamus, des Königs von Troja. Sie besaß vom Apoll die Gabe der Weissagung, und verkündete das traurige Los des väterlichen Throns und ihrer geliebten Vaterstadt, die von den Griechen erobert und vernichtet wurde, vorher.
2 Peneus, Fluß in Griechenland.
3 Hellas, der alte Name Griechenlands.
4 Charis, Huldgöttin, Grazie.
5 Heroen, Halbgötter, Helden.
6 Geweihte Haine waren es, in deren geheimnisvollem Dunkel die Orakel ihre hohen Göttersprüche vernehmen ließen. Der dodonische Wald in Epirus verhüllte in seinen heiligen Schatten ein Orakel des Jupiter.
7 Die schöne Dichtung von Amor und Psyche verschleiert die zarten Vorstellungen von Sein und Werden. Die Psyche, mit Schmetterlingsflügeln, deutet auf ein geistiges Wesen, welches, aus der gröbern Erdenhülle emporgehoben, eines höhern Daseins genießt. Sie ist die Vermählte Amors, die unsterbliche Genossin der himmlischen Liebe. Amor hatte Psychen oft gewarnt, nicht nachzuforschen, wer ihr Liebhaber sei. Aber auf die Vorstellungen ihrer Schwestern, die, nach ihrem Wunsch, ihr zugeführt waren, und, auf das Glück ihrer Schwester neidisch, ihr den Wahn einflößten, ihr Liebhaber sei ein Ungeheuer, trat sie im Dunkel der Nacht mit einer brennenden Lampe, und bewaffnet mit einem Dolche, zu dem Lager des schlummernden Amors, um sich von dem gefürchteten Ungeheuer zu befreien. Doch wie erstaunte sie, an dessen Statt den himmlischen Amor selbst zu erblicken! Sie zitterte, und ein brennender Öltropfen fiel auf Amors Schulter. Er erwachte, und verstieß zürnend die getäuschte Psyche. Die Unglückliche irrte nun trostlos auf der ganzen Erde umher, den verlornen Gott aufzusuchen und zurück zu flehen. Sie mußte sich harten Büßungen unterwerfen, bis sie endlich von Amor, der sie noch liebte, wieder aufgenommen, und in die Versammlung der Himmlischen eingeführt wurde, wo sämtliche Götter an der Vermählung Psychens mit der himmlischen Liebe teilnahmen. So glorreich kehrt der Himmelsfunke zu seinem Ursprunge zurück.
8 Kleanthes, Vertreter der stoischen Philosophie um 264 v. Chr.