Роберт ГамерлингHOMUNCULUS. 2. GESANG: DES HOMUNKELS LEHRJAHRE
Munkel hieß der Dorfschulmeister...
Munkel hieß der Dorfschulmeister,
Dessen Gattin war erkoren,
Auszureifen, zu gestalten
In dem mütterlichen Schoße
Statt des eignen Liebesegens
Jenen Keim aus der Retorte,
Den gemischt der chem'sche Meister
Aus des Lebens Elementen.
Als vorüber nun der Monde
Neunzahl, trat an's Licht des Tages
Ausgereift und ausgestaltet,
Lebend und gesund, das zarte
Wunderkind, das ungezeugte.
Mit emporgezog'nen Brauen,
Stirnerunzelnd und mit großen,
Klugen Augen um sich blickend,
Lag es in der Wiege, weinte
Selten, lächelte noch seltner.
Keinen Engel sah's im Traume,
Denn es glaubte nicht an solche.
Aber in der Brütestätte
Jenes mütterlichen Schooßes
War dem Knaben, pilzkeimartig,
Angeflogen doch ein Etwas,
Das, als er herangewachsen
Und Gehilfe ward des Vaters,
Sich verrieth durch Versemachen.
In Romanen und Gedichten
Hatte seine wack're Mutter
Viel gelesen, während sie sich
Mit ihm trug, desgleichen später,
Während sie das Knäblein säugte
Mit der Milch aus ihren Brüsten.
So war er Poet geworden:
Nicht entgangen war es ihm,
Daß die Lust trägt in der Brust
Der Poet, den Schmerz im Herzen.
Und er machte die Entdeckung,
Daß im Lenz die Knospen springen,
Und die Rosen lieblich duften,
Und die Wasser wonnig rauschen,
Und gelind die Lüfte wehen,
Und daß hübsche junge Mädchen
Angenehm sind anzusehen –
Und er glühte vor Verlangen,
Dies Entdeckte ohne Säumniß
Aller Welt nun mitzutheilen.
Wußte nicht, daß solche Dinge
Seit Anakreons, des Tejers,
Zeit ein öffentlich Geheimniß!
Eine schöne Schenkin liebt' er,
Feierte sie zart in Liedern –
Hebe ihm zugleich und Muse!
Späterhin ein Nähmamsellchen,
Das mit stahlblank-scharfer Schere
Ihm erschien als ernste Parze
Seines Glücks- und Lebensfadens.
In die Hände eines Tages
Fiel ein enggedruckter Band ihm
Von Rezensionsauszügen
Ueber Schack's poet'sche Werke.
Dieses spornte seinen Ehrgeiz.
Nachzueifern solchen Flügen
War von da an sein Bestreben.
In der Prosa war Johannes
Scherr Idol ihm, Götze, Fetisch.
Wollte nun nicht länger harren,
Literarisch und ästhetisch
Durchgebildet im Verborg'nen,
Edlen Sanges Dank zu ernten.
Aber bald ward ihm bedeutet,
Daß die Themen seiner Lieder,
Maienlust und Liebeswonne,
Nicht so neu, als ihm bedünkte,
Daß vielmehr schon abgebraucht sie,
"Abgedroschen", – flegelhaft fand
Er den Ausdruck – aber schließlich
"Eine neue Poesie denn
Zu erfinden gilt's," so dacht' er;
"Eine neue zeitgemäße
Poesie mit funkel-nagel-
Neuen Stoffen – mit Gedanken
Und Gefühlen, unerhörten!" –
Und er machte die Entdeckung,
Daß die Menschen an sozialen
Uebeln kranken, daß die Armen
Sich in bittrer Noth verzehren,
Daß im Glück, im ungestörten,
Schufte leben, daß der Hunger
Junge Mädchen aus dem Volke
Auf die Bahn oft drängt des Lasters,
Daß dem welken, reichen Lüstling
Jungfrau'nblüte wird verkuppelt,
Daß der Bund der Ehe drückend
Ist für die, die sich nicht lieben,
Daß moralische Versumpfung
Aus der Armuth sich entwickelt,
Und nicht minder aus dem Reichthum –
And'res viel von dieser Art noch.
"Brächte," dacht' er, "diese Dinge
In begeisterten Gesängen
Ich zur öffentlichen Kenntniß,
Ungeheures Aufseh'n müßten
Sie erregen und man fände
Sich bemüssigt, abzustellen
Die sothanen Uebelstände.
Nebenbei müßt' über Nacht ich
Zum berühmten Manne werden!" –
Aber er erlebt' es leider,
Daß die Welt bei seiner neu'sten
Poesie nicht minder gähnte,
Als bei jenen guten alten
Lenzeslust- und Liebesliedern.
In Verzweiflung ob des Scheiterns
Seiner stolzen Ideale,
Rafft' er auf sich zum Entschlusse,
Ueber's Knie den Lehrerbakel
Abzubrechen, fortzuwandern,
Hoffend, in der Welt, der weiten,
Endlich doch noch aufzutreiben
Neue Themen, welche "packten".
Und er fand zwar nichts, was neu,
Aber manches doch, was Mode.
Dichtermode war zum Beispiel
Mittelalter just, das "finstre",
Und das Alterthum das "graue".
Und so schrieb er denn ein Epos,
Allerneu'ste "Nibelungen",
Dacht' es stracks wie eine Bombe
Zündend in das Volk zu werfen.
Es gelang ihm, einzuschleichen
Sich mit zartem Minnesange
In das Herz der schönen Tochter
Eines reichen Buchverlegers.
Diesem bot er an sein Epos,
Warb zugleich um seine Tochter.
Doch der Buchverleger sagte:
"Willst du nach der Myrthe greifen,
Erst verdiene dir den Lorbeer!" –
Und das Buch, es ward gedruckt,
Und es ward hinaus gesendet
In die Welt und hochgepriesen
Ward's, in die Posaune stießen
Alle Kritiker, die Ohren
Gellten wie der angeschlag'ne
Heil'ge Erzschild zu Dodona
Mondenlang dem Publikum.
Während so vom Lob des Buches
Die Journale widerhallten,
Schwand das Jahr, und sieh, vergriffen
Waren – dreizehn Exemplare.
D'raufhin wies der Buchverleger
Stumm die Thür dem Minnesinger,
Gab die Tochter einem Andern,
Und das Epos stampft' er ein. –
In die Dienste eines jungen
Cavaliers auf Reisen trat nun
Unser Munkel. An der Seite
Dieses jungen, flotten, reichen
Don Juans – als Sekretär ihm
Sollt' er dienen – wohlgemuth sich
Anzuseh'n die Welt gedacht' er,
Hoffend, brauchbar'n Stoff zu finden
Endlich doch für jene neue
Poesie, nach der er strebte.
In der That an Don Juans Seite
Trieb er um in mancher schönen
Gegend sich, in mancher bunten
Groß- und Weltstadt, und in Bädern –,
Modebädern, das ist solchen,
Wo so recht behaglich plätschert
Einer in dem Schmutz des Andern –
Trieb sich um an manch berühmtem
Badespielort auch, und weilte
Nun an einem, der vor allen
Elegant war, fashionable:
Zu Tarteiffelburg, an Frankreichs
Und des deutschen Landes Grenze.
Dieser Ort ward hohe Schule
Für Jung-Munkel. Die Gesellschaft
Sah er hier, die große, feine,
Sah sie lächelnd, lispelnd, trippelnd,
Tänzelnd und balsamisch duftend,
Untermischt mit räthselhaften,
Uebertünchten, parfümirten
Existenzen, faul von innen –
Sah, wie los man wird am Spieltisch,
Was erknausert ward, erknickert,
Und ergattert und ergaunert –
Sah wie leicht verscherzt, verjubelt
Sind die durchgegang'nen Kassen
Und die durchgegang'nen Schönen –
Sah, naiv erstaunt, die edle
Weiblichkeit zum ersten male
Dekoll'tirt bis an den Gürtel –
Sah die Danaën geschminkt sich
In die gold'ne Traufe stellen –
Sah den kecken Abenteurer,
"Hahn im Korb" der gall'schen Hennen,
Der vielleicht nach ein paar Monden
Seine seidene Kravatte
Schon vertauscht mit einer hänf'nen ...
Eines Abends stand im weiten,
Hellen Saal am Spieltisch Munkel.
Einer, der, noch unbefangen,
Regen Sinns hier schaut die Spieler,
Festgebannt am grünen Tische,
Düster mit verstörten Mienen,
Dem erscheint der Tisch ein Angstrad,
Drauf geflochten die Unsel'gen, –
Meint zu lesen ein Kapitel
Aus der Höllenfahrt des Dante.
Aber Munkel sah den Tisch nicht,
Nicht die Spieler; sah nur Eines:
Aufgeschichtet auf dem Tische
Hohe, helle Haufen Goldes.
Da befiel auf einmal krankhaft
Ihn ein räthselhafter Zustand.
Stärker ward sein Puls und Herzschlag,
Ein gewisses Zucken spürt' er
Krampfig in den Fingerspitzen,
Vor den Augen ward es gelb ihm,
Flimmernd-gelb – ein Schwindel faßt' ihn ...
Ach, der Aermste ahnte nichts noch
Vom Geheimniß seines Ursprungs! –
Seines Keimes Elementen
Dachte, um ihn mehr zu kräft'gen,
Auch ein Element des Eisens
Beizumischen der Erzeuger.
Er vergriff sich; in die Mischung
Kam ein Element von Golderz.
Dies Goldelement im Keime,
Stets verlangt' es nach Erneurung,
Gleich den ander'n Elementen,
Und so lag ein räthselhafter
Durst nach Gold in Munkels Blute.
Fortstürzt Munkel; Ruh' gewinnt er
Erst, nachdem er weit gelassen
Hinter sich die gold'nen Haufen.
In der Nacht, im tiefsten Schlummer,
Naht ein märchenhafter Traum ihm.
Sah im Traum als Herkules sich
Selber steh'n am Scheidewege.
Auf der einen Seite winkte
Ihm das Ideal, mit Armuth
Und Entsagung im Gefolge;
Auf der andern winkte Glanz, Macht,
Reichthum. Und zu wählen hatt' er.
Eine blaue Blume hier –
Dort ein mächt'ger Klumpen Goldes.
Jene blühte auf smaragd'ner
Wiesenflur – der gold'ne Klumpen
Lag im Schmutz und Dust der Straße.
Auf der blauen Blume wiegten
Farbig-bunt sich sel'ge Falter,
Auf dem Klumpen Goldes krochen
Würmer, Spinnen, ekle Käfer.
Nach der blauen Blume greifen
Wollte Munkel. Doch des Erzes
Zauber auf sein Blut und Wesen
War zu stark – er nahm den Klumpen.
Und was sich im Traum entschieden,
Es verwirklicht sich im Wachen.
An den Spieltisch mit bescheid'nem
Einsatz wagt in nächster Nacht sich
Unser Held. Die Rollen häufen
Sich um ihn im Stundenfluge.
Heißa! mehr der gold'nen Rollen!
Immer mehr der gold'nen Rollen!
Als der Morgen angebrochen,
Findet er sich reich wie Krösus.
Als ein Mensch, ein Mann nun galt er,
Und in ihren Schoß aufnahm ihn
Süßlich lächelnd die Gesellschaft.
Arm in Arm mit Grafen ging er,
Um sich sah er nur noch Sklaven,
Und der Gürtel aller Phrynen
Schrumpfte für ihn ein zum Strumpfband.
Eines dieser schönen Kinder
Nahm er fort mit sich auf Reisen.
Frei und selber Cavalier nun,
Schöpft' er keck den Schaum der Welt ab,
Im Geleite dieser Schönen.
Aber da die Lust ihn ankam,
Auch zu pilgern nach dem lust'gen
Ungarland, an Ort und Stelle
Zu verkosten den Tokaier,
Und zu seh'n die üppig-schönen,
Weltberühmten Ungarfrauen,
Fiel er im Bakonyerwalde
Wilden Räubern in die Hände.
Führer dieser Räuberbande
War ein Enkel Rosza Sándors,
Und gutmüthig, wie nun einmal
Ist im Ungarland der Betyàr,
Wollt' er unserm armen Munkel
Nur die schöne Liebste nehmen,
Und dafür das Gold ihm lassen.
Doch die leichtgesinnte, munt're
Schöne, sie erklärte rundweg,
Daß sie bleibe, wo das Gold sei;
Und so sah der Enkel Sándors
Sich bemüssigt, zu behalten
Auch das Gold des armen Munkel.
Gerne wäre Munkel selber
Auch geblieben bei dem Golde,
Auch geblieben bei den Räubern;
Denn was sollt' er nun beginnen?
Von den Räubern fortgewiesen
Trieb er in der Welt umher sich,
Und es warf geraume Zeit ihn
Auf bewegtem Meer des Lebens
Eine Welle zu der andern.
So im Lauf der nächsten Jährchen
War er viel nicht stets, doch Vieles:
Volksmann, Wühler, Freischaarführer,
Polizeispion, Major dann
In dem Gardecorps des Papstes,
Börsenjobber, Spielbankhalter,
Bauernfänger, Wunderdoktor,
Kriegsschauplatz-Berichterstatter,
Vortragsbummler, Taschenspieler,
"Medium", Gedankenleser,
Reisemarschall einer Säng'rin,
Sozialist, Carlist in Spanien,
Renegat und Roßschweifpascha,
Jesuit, Schaubudenhalter,
Hungerkünstler, Feuerfresser,
Sekretär entthronter Fürsten,
Schornsteinfeger in der Hölle,
Colporteur, barmherz'ger Bruder,
Reuß'scher Konsul in Tumbuktu,
Cirkusreiter, Clown, geheimer
Sendling, Mäkler, Geldverleiher,
Kommissär verschied'ner Mächte
In den Donaufürstenthümern,
Handlungsreisender, Schauspieler,
Unterschriften-, Wurzel-, Kräuter-,
Lumpen-, Abonnentensammler ...
Was von Seelenwanderung einst
Lehrten die Pythagoräer,
Was Braminen in Legenden
Und Ovid in fünfzehn Büchern
Von Verwandlungen erzählen,
Von Verwandlungen der Menschen,
Von Verwandlungen der Götter,
Messen darf es sich mit dem nicht,
Was geleistet unser Munkel
In der Kunst der Selbstverwandlung,
Seelenwanderung – in Farben-,
Kleider- und Gesinnungswechsel,
So im flücht'gen Lauf der Jährchen.
Schließlich bracht' ihn ein verdrießlich-
Böser Handel vor die Schranken,
Und von da – Gott weiß wohin.
Ward er flüchtig? Es verliert sich
Von da an für eine Weile
In geheimnißvolles Dunkel
Unser Held; die Weltgeschichte
Hat hier eine ihrer vielen,
Sehr bedauerlichen Lücken.
Aber aus dem Dunkel, siehe, –
Etwa wie aus eines Tunnels
Nacht man wieder kommt an's Tagslicht –
Trat mit einem mal in würd'ger
Haltung, reif für Höh'res, Munkel,
Als gewiegter, als gerieb'ner,
Ausgepichter, als mit allen
Salben, wie man sagt, gesalbter
Mann hervor, bewußt des Zieles.
Aufschlug er in einer Weltstadt
Seinen Wohnsitz, und in's Leben
Rief er eine große Zeitung:
Eine Zeitung von noch niemals
Dagewesener Bedeutung,
Riesigem Erfolg, betitelt:
"Blatt für Alles und für Alle."
Kostenfrei geliefert ward es,
Dieses Blatt, dem Abonnenten.
Mehr noch: er bekam dazu auch
Unterschiedlich-hübsche Prämien,
Ostereier, Christgeschenke,
Neujahrsgelder und dergleichen.
Dies bekam der Abonnent
Mit der einzigen Bedingung,
Daß er las die Inserate! –
"Teufel, wie ist Solches möglich?
Und wie kommt er auf die Kosten?"
Also fragten naive Seelen,
Welche glaubten, daß ein Vogel
Von der Luft, ein Fisch vom Wasser,
Und ein großes Blatt, ein Weltblatt,
Lebt vom Geld der Abonnenten! –
Je nun – Jeder inserirte
In ein Blatt, das Jeder las. –
Honorare zahlte Munkel
Keine; ließ im Gegentheile
Stets sich selbst zu hohem Preise
Honoriren, was er druckte.
Um die Ehre, mitzuwirken
An dem "Blatt für Alle", stritt sich
Die Elite der Gesellschaft;
Hof- und Staats- und and're Räthe
Oder auch die Führer mächt'ger,
Zahlungsfähiger Parteien
Lieferten die Leitartikel.
Große Bank- und Handelsfirmen
Lieferten die finanziellen,
Volkswirthschaftlichen Berichte,
Zahlten fabelhafte Summen
Für die Ehre, in Herrn Munkels
Blatte sich gedruckt zu sehen.
Literarische Kritiken
Lieferten die Buchverleger
Und die Feinde der Autoren.
Sehenswürdig war das eng're
Redaktionsbureau des Blattes.
Vier "interne" Kräfte zählt' es.
Anvertraut den beiden ersten
War das Werk des Redigirens.
Dieses Paar erprobter Kräfte
War der Rothstift und die Scheere.
Daran schloß sich als "interne"
Dritte Kraft ein Bullenbeißer,
Welcher Jenen in die Waden
Fuhr, auf welche man ihn hetzte.
Von den menschlichen Organen
War beim Vierten das Organ nur
Der Verantwortung entwickelt,
Das auch Sitzorgan genannt wird.
Vorbehalten hatte Munkel
Von den Redaktionsgeschäften
Für sich selbst sich das des Schweigens –
Das des Schweigens und Verschweigens –
Dieses lohnte sich am meisten.
In des Blattes Magazinen
Fand sich eine Riesentonne:
Und in dieser Riesentonne
War ein ungeheurer Vorrath
Aufgestapelt alles Süßen:
Alles Lobes, alles Ruhmes,
Jeder Art von Anerkennung.
"Unvergleichlich, herrlich, prachtvoll,
Meisterhaft, nie dagewesen,
Zauberhaft, entzückend, himmlisch" –
Jedes dieser Prädikate,
Jedes dieser Adjektive
Bis hinunter zu "befried'gend"
Und "genügend" und "nicht übel"
Hatte seinen Preis. Reklame,
Von der plumpsten bis zur feinsten,
Ohne Maske und mit Maske,
Unverschämte und verschämte,
Bot in Tausenden von sinnreich
Und kokett erdachten Formen
Sich dem Käufer dar zur Auswahl.
Aber wie es einst im alten
Attika den besten Honig
Und zugleich das beste Salz gab,
Hielt das Bittere dem Süßen,
Hielt dem Zuckerseim der Wermuth,
Hielt dem Sammtpfötchen die Tatze,
Asa foetida dem Weihrauch
Und der Unglimpf der Verhimmlung
In Herrn Munkel's Blatt die Wage.
Schwunghaft einen Handel treiben
Konnt' es heimlich mit den Häuten,
Die es Feinden abgezogen –
Eig'nen Feinden oder fremden.
An die großen Magazine
Der Reklame schloß dann weiter
Sich das große, weitberühmte
"Meinungspensionat" des Blattes:
Jede Art von öffentlicher
Oder auch privater Meinung,
Ansicht, Grundsatz, Ueberzeugung
Ward hier in die Kost gegeben
Und für Geld so groß gezüchtet,
Dick gefüttert, ausgestattet,
Und an Mann gebracht so günstig,
Als man es nur wünschen mochte. –
Alles Käufliche der Welt,
Alles Leckere des Erdballs,
Alles Schöne, Delikate,
Seltene, Begehrenswerthe,
Alles, was nur die fünf Sinne
Eines Menschen mag erregen,
Reizen, locken und verführen,
Gab bei Munkel's Blatt die Karte
Höflich ab und die Adresse.
Und von all' Dem, selbstverständlich,
Hatte das "jus primae noctis"
Munkel selbst – das "Recht der ersten
Nacht", das Recht, es vorzukosten.
Tributpflichtig war die Welt ihm.
Freien Eintritt, freien Zutritt
Hatt' er überall durch off'ne,
Blumenüberhang'ne Pforten.
Keine Thür war ihm verschlossen,
Und kein Ohr, kein Herz, kein Beutel.
Alles beugte sich vor ihm,
Dem Gefürchteten, Allmächt'gen;
Alles zog vor ihm den Hut,
Wenn auch mit geheimem "Daß dich ..."
War er doch der große Richter,
Mittler, Förd'rer, Gnadenspender!
Fürsten und Minister drückten,
Juden küßten ihm die Hände.
Künstlerinnen, schön und häßlich,
Schmiegten – je nachdem – als Kissen
Ihm zu Häupten sich, im andern
Fall als Teppiche zu Füßen. –
Käuflich immer fand er Alle,
Weil er käuflich war für Alle.
So zu hohem Glanz und Ehren
Durch sein Blatt gelangte Munkel.
Aber als nun eben wieder
Eintrat eine Zeit des neuen
Volkswirthschaftlich hohen Aufschwungs,
Eine Aera wilden Taumels,
Eine Aera fieberhaften
Rennens, Ringens, eine Aera
Wüsten, korybant'schen Tanzes
Um das gold'ne Kalb – als üppigst
Voll in Samen schoß der Schwindel,
Jeder hinwarf, was er hatte,
Um ein Mehrer's einzutauschen –
Da verkaufte unser Munkel
Um ein Heidengeld an eine
Große Aktiengesellschaft
Sein Journal und wurde Gründer.
Homunculus.
Erstdruck: Hamburg (Richter) 1888.
Hamerling, Robert: Homunculus. Modernes Epos in 10 Gesängen, 5. Auflage, Hamburg
1889, S. 16-36.