Роберт ГамерлингHOMUNCULUS. 10. GESANG: ENDE OHNE ENDE
Aus der Welt sich in die tiefste...
Aus der Welt sich in die tiefste
Einsamkeit zurückzuziehen
Dachte Munkel. Aber schwer ward's
Ihm, zu finden eine solche.
Giebt es tiefe Einsamkeit noch?
Giebt es noch ein Fleckchen Erde,
Das unsicher nicht die Neugier
Macht, der Unternehmungseifer
Oder auch nur schnöde, müss'ge
Bummelei der Menschenkinder?
Endlich schien ein Felsgebirg' ihm
Oed' genug für seine Zwecke,
Klüfte, voll von Urweltsknochen
Und verlass'nen Drachennestern,
Boten ihm ein jungfräuliches,
Nie betretenes Asyl.
Und hier warf sein reger Geist sich
Mit dem ganzen zähen Eifer
Und dem Starrsinn, der ihm eigen,
Auf das einz'ge Feld, auf dem er
Seine Kraft noch nicht erprobte:
Das des Forschens, der Erkenntniß,
Auf das Feld der Wissenschaften.
Jeden Grund wollt' er ergründen;
In die schwierigsten Probleme
Und Projekte sich versenkt' er,
Und sein Ziel war, zahm zu machen
Die Natur, sie zu beherrschen,
Ganz als eine Art von Hausthier
Für den Geist sie einzujochen,
Zu dressiren die Gewalt'ge.
Ist nicht Wissen Macht? Ihm sollt' es
Zum Organ noch unerhörter
Zaubermacht und Herrschaft werden.
Als ein umgekehrter Faustus
Aus dem Leben zu den Büchern
Wandt' er sich, und unablässig
So studirend, meditirend,
Saß ein Loch er in den Steinsitz
Seiner Felskluft. Oft geschah es,
Daß die Spinne ihr Gespinnst,
Wie sie sonst es thun an Büchern,
Um den Leser selbst nun woben,
Um den einsam Regungslosen,
Und nie konnt' er los sich machen
Ganz vom Wust, in den ihn Spinnen
Und Gedanken eingesponnen,
Merkend nichts mehr, was bei Menschen
In der Welt rings umher vorging,
Ward er, als man, einen Tunnel
Mitten durchs Gebirg' zu bohren,
Steine brach und Felsen sprengte,
Ungesehen, ungeahnet,
Mitgesprengt sammt seiner Felskluft
In die Lüfte. Hülflos lag er
Und bewußtlos lange Tage.
Doch er lebte. Als er endlich
Aus der lastenden Betäubung
Los sich ringt und langsam, langsam
Aufschlägt die noch todesmüden,
Todesschlummer-trunk'nen Augen –
Welche Grau'nerscheinung, ha!
Beut sich seinen ersten Blicken?
Ueber ihn sich beugend, kauert
Dicht vor ihm ein Scheusal, starrt ihm
Keck in's Antlitz, zähnefletschend.
"Träum' ich noch?" fragt Munkel; "lieg' ich
Noch in Fieberphantasien?"
Aber nach dem ersten Schrecken
Sich ermannend, schaut er muthig
Aug' in Aug' dem Ungeheuer.
Ach, ein matt-verblaßt' Erinnern
Taucht empor in seiner Seele!
Ein Erinnern längst verscholl'ner
Dinge – Bilder aus Lemurien!
Diese Ungestalt, dies Unthier,
Ist es nicht ein Orangutong?
Ist es nicht geflügelt? schleppt es
Hinter sich nicht einen langen
Schupp'gen Drachenschwanz? – Kein Zweifel:
Es ist Draco! – Ja, er ist es!
Munkel war nicht feind dem Draco;
Fühlt' er doch im Gegentheile
Insgeheim sich ihm verpflichtet.
Hatte nicht der Flügelaffe
Ihn befreit von seinem schnöden
Nebenbuhler, jenem Krallfratz?
Und da nun auch Draco selbst sich
Schien auf Munkel zu besinnen,
Keine Eil' auch schien zu haben,
Ihm ein Leides zuzufügen,
Sprach, ein Herz sich fassend, der ihn
An in halbvergess'nen Lauten
Jener kräft'gen Satyrsprache,
Die zu herrlicher Vollendung
War gediehen in Lemurien.
Draco freilich sprach die Mundart
Seiner väterlichen Ahnen
Mehr mit bestial'schem Ausdruck
Und mit zischender Betonung,
Die vererbt ihm ohne Zweifel
War von mütterlicher Seite.
Doch die Beiden, sie verstanden
Leicht einander und erzählten
Sich in langen Mußestunden
Ihre wechselnden Geschicke.
Draco nun, vernehmend, Munkel
Suche eine tief verborg'ne
Stille, sichere Behausung,
Bot ihm gastlich an die seine;
Führte durch ein dunkles, krauses
Labyrinth von neun gewund'nen
Klüften ihn in eine zehnte,
Tief im Schoß der Erde, welche
An Verborgenheit, an Stille,
Nichts mehr übrig ließ zu wünschen,
Und geschützt durch ihre Lage
War auch gegen Sprengversuche
Frevelhafter Menschenhände.
Alsbald war der Flügeldrache
Munkels treu'ster Freund und Diener.
Unergründliche Naturmacht,
Sympathie geheimer Art schien
Zu verknüpfen bald das Wesen
Dieses wunderlichen Mischlings
Dem Homunkel. Nahrung schafft' er,
Wie sie, karg zwar, bot die Wildniß,
So daß Munkel ganz sich widmen
Konnte seiner Denkerarbeit;
Ließ sich bald auch rüstig brauchen,
Holz zu fällen, Erz zu graben,
Werkgeräth sogar zu schmieden.
Schäbig ward der Drachenschweif ihm,
Abgerieben, fast verkümmernd,
Bei so rührigem Bemühen.
Auch vor Feinden schützte Draco
Seinen Herrn, vor Faunen, tückisch-
Wilden Wald- und Bergkobolden,
Schützt' ihn namentlich vor seinen
– Draco's – eigenen Verwandten,
Seinen Tanten, Basen, Vettern,
Welche rings in Klüften wohnten,
Und im Gegensatz zu Draco's
Aeffischem, behenden Wesen,
Unheil brütend, träumend lagen
Auf den langen Wickelschwänzen.
Allgemach jedoch erstreckte
Des Homunkels Zaubermacht sich
Ueber all' die Höh'n: im Bunde
Mit dem riesenstarken Draco
Unterwarf er die gesammte
Fauna sich der grausen Wildniß.
All' die Wald- und Bergkobolde,
Gnome, Greife, kluge Raben,
Und die trägen Drachen selber
Waren ihm zuletzt behülflich,
Aufzurichten, auszurüsten
Eine ungeheure Werkstatt,
Tief im dunklen Schoß der Erde,
Zu gestalten, auszuführen,
Was sein Geist ersann von hohen
Wundern der Naturbeherrschung.
Karg genährt von Wurzeln, Kräutern,
Trotz der Schätze, die noch sein,
Aufgespart für große Zwecke,
Und die Schwächen, die Gebreste
Tragend des Homunkelthumes,
Seiner künstlichen Erzeugung,
Schrumpft' er ein beinah' zum Gnomen,
Zum Alraun, zum zwerghaft welken,
Aber zaubermächt'gen Kobold.
Alt nun war er längst geworden,
Aber durch Verjüngungstränke,
Die er selber sich gebrauet,
Tilgt' er zwar nicht die Verschrumpfung
Seines Leibes, noch die Runzeln
Seiner Züge, doch geschmeidig,
Fiebrisch-regsam seine Glieder
Noch erhielt er, und je mehr ihm
Abstarb des Gemüthes Leben,
Um so schärfer stets nur spitzte
Sein Verstand sich zu, sein Scharfsinn,
Um so feiner nur gedieh' ihm
Das Gespinnst der Grübeleien.
Er erfand und konstruirte
Eine kleine Denkmaschine,
Ein "Dianoëtikon,"
Das wie eine Taschenuhr man
Bei sich tragen konnt' im Sacke,
Und das man nur in der Weise,
Wie's entsprach dem Denkprobleme,
Aufzuziehn, zu stellen brauchte,
Um die bündigste, die klügste,
Unbestreitbar-beste Lösung
Des Problemes zu erhalten.
Nach dem Muster dieser kleiner'n
Denkuhr konstruirte Munkel
Eine and're, zu vergleichen
Herschels Riesenteleskope.
Und mit Hülfe dieses Werkzeugs,
Dieser Riesendenkmaschine,
Drang nun Munkel in die tiefsten
Tiefen der Natur und zwang ihr
Antwort ab auf alle Fragen,
Und Erfindungen gelangen
Seiner Kunst und seiner Einsicht,
So erfolgreich, so gewaltig,
Und damit aus ihren Angeln
Die Natur, die Welt zu heben.
Er erfand auch, rastlos grübelnd,
Ein Universal-Heilmittel;
Ferner ein Vergnügungsmittel
In der Art des türk'schen Haschisch,
Aber von so unfehlbarer,
Großer, zauberischer Wirkung,
Daß zur Lust das Dasein werden
Und für immer schwinden mußte
Alles Leid und Weh' der Erde.
Nur ein Spiel ihm war's, mit Hülfe
Der Magnet-Elektro-Thermik
Zu erzeugen Ungewitter,
Nordlicht, unterird'sches Beben,
Hagel, Reif und Schneegestöber.
Unbenützte Kraftvorräthe,
Die in ungeheurem Umfang
Aufgespeichert sind im Haushalt
Uns'rer Sphäre und des Kosmos,
Die Bewegungen der Winde,
Wasser, Wolken, Sterne – dacht' er
Nach Prinzipien der Einheit
Aller Kräfte, und der Wandlung
Aller Kräfte ineinander,
Dienstbar seinem Zweck zu machen,
All' die niedern in die höher'n,
Die Bewegungen, die Wärme,
Elektrizität in Lebens-
Und in Denkkraft umzusetzen.
Umgekehrt sodann erwog er,
Wie nach gleichen Kraftgesetzen
Das nutzlose geist'ge Streben
Mancher Menschen, Dichter, Künstler,
Uebermäßig starker Herzschlag
Der Verliebten, die zwecklose
Rührigkeit von Pflastertretern
Und von andern Müssiggängern
Nützlich wäre zu verwerthen.
Zu verwandeln, umzusetzen
In mechanische Bewegung
Zum Betriebe von Maschinen.
Was schon Büchner wußte, daß man
Heizen könne Wohngemächer
Auch mit einem Wasserfalle,
Einem Strom, Windmühlen, Rädern,
Dacht' er praktisch auszubeuten.
Durch das Aufeinanderplatzen
Auch der Geister und die Reibung
Der Parteien, meint' er, wären
Ries'ge Wärmekraft-Vorräthe
Hergestellt, die sich mechanisch
Nützlicher verwerthen ließen.
Windmühlflügel wollt' er treiben
Mit dem "Wind", den Manche "machten".
Wissend, daß des Licht's Erscheinung
Und des Klanges und der Wärme,
Des Magnets, Elektrons Wunder,
Des Chemismus, und sogar auch
Die des Lebens und des Denkens
Ruhen auf dem mehr und minder
Raschen Pendeltanz der Schwingung,
Schuf er grübelnd aller Wunder
Größtes, schier ein Zauberwesen,
Ueberbietend als Erfindung
Selbst die Riesendenkmaschine!
Tief und fest ins Erdreich steckt' er
Einen Stab, und den verstand er
Wie ein Metronom (von Meltzl)
Zu versetzen in jedweden
Grad von Schnelligkeit der Schwingung.
Schwang der Stab in der Sekunde
Zweiunddreißig mal, so gab er
Einen dumpfen tiefen Baßton,
Dann sich immer rascher schwingend,
Einen höhern, bis zum höchsten,
Der vernehmbar noch dem Ohre.
Dann zu Schwingungen von ungleich
Rascher'm Tempo übergehend,
Hub er mählich an, um sich her
Eine angenehme Wärme
Zu verbreiten; dann begann
Allgemach zuerst ein schwaches
Rothes Licht an ihm zu dämmern,
Dann ein gelbes – dann ein grünes: –
So die ganze Farbenskala
Bis zum Violett durchläuft er.
Rasch so, rascher, immer rascher,
Immer rasend-rascher schwingend,
Mit Millionen und Billionen
Schwingungen in der Sekunde,
Zeigt der Stab die Phänomene,
Zeigt die hohen Wunder alle,
Die wir Magnetismus nennen,
Elektrizität, Chemismus –
Und nachdem er in undenkbar-
Schnell'stem Schwung zuletzt erreicht hat
Jene Zahl von Billionen
Schwingungen in der Sekunde,
Deren Resultat das Leben,
Reißt er von der Erde Grund sich
Plötzlich los und – läuft von dannen:
Denn er lebt – er lebt und denkt!
Er auch ein Homunkel, traun,
Wenn auch auf ganz ander'm Wege,
Auf unendlich kürzer'm Wege
Hergestellt – à la minute –
Als der and're, der ihn machte.
Froh der Vaterschaft war Munkel,
Und in seinem Stolz, in seiner
Freude setzt' er in die Welt noch
Viele ähnliche Homunkel,
Die in ihr umher nun laufen.
Wie das Sehrohr zeigt dem Auge
Dinge, welche sonst nicht sichtbar,
So erfand ein Hörrohr Munkel,
Das dem Ohr aus weiter Ferne
Alle Töne nahe brachte –
Töne ferner, die mit freiem
Ohr wir nie vernehmen würden,
Und die deshalb auch bis dahin
Unbekannt uns Erdensöhnen,
Weil sie viel zu dumpf und leise:
Wie der Infusorien Sprache,
Zärtlich-trauliches Geflüster
Eines Falters mit der Rose,
Die verschwiegensten Gedanken
Tief im menschlichen Gehirne,
Eines Schuft's Gewissensstimme,
Und der Hülferuf der Jungfrau'n; –
Oder weil zu fern ihr Ursprung,
Oder weil zu tief, zu hoch sie
Für ein Ohr – selbst für das längste.
Auch die Harmonie der Sphären
Ward erlauschbar durch dies Hörzeug.
Aber auch den andern Sinnen
Wußte Schwingen zu verleihen
Munkels Scharfsinn. Grübelnd schuf er
Riech- und Schmeck- und Tastgeräthe,
Die das Fernste nahe brachten,
Es zu riechen, es zu schmecken,
Es zu fühlen, zu betasten,
Und die das unmerkbar Feinste
Wahrzunehmen noch erlaubten
Mit Geruch- und Schmeck- und Tastsinn,
So daß sich erschließen mußte
Eine neue Welt den Sinnen.
Gleichberechtigt mit den höher'n
Sinnen waren jetzt die niedern,
Und zum Organon des Wissens,
Wie zuvor das Sehen, Hören,
Ward das Wittern und das Schnüffeln.
Auf den wundersamen Umstand,
Daß das Licht, und mit dem Lichte
Das, was auf des Lichtes Schwingen
Trifft das Aug' – der Dinge Bilder –
Manch' Jahrhundert, manch' Jahrtausend
Zeit sich nehmen, von den fernsten
Sternen bis zur Erde nieder,
Und von da zu jenen Sternen
Zu gelangen, so, daß Sterne,
Welche längst verkohlt, erloschen,
Wir noch stets am Himmel sehen –
Auf so wundersamen Umstand
Gründete den keck'sten Luftsprung
Seines Genius der Homunkel.
Wem gereicht' es nicht zu hoher,
Uebermenschlich-hoher Freude,
Zur Erfüllung eines oftmals
Tief und warm gehegtem Wunsches,
Menschen, welche längst dahin sind,
Weise, Helden, schöne Frauen,
Welche todt schon manch' Jahrtausend,
Leibhaft lebend zu erblicken
Einen einzigen Moment nur –
Dieses, jenes längstvergang'ne
Welthistorische Geschehen
Nachträglich in seiner vollen
Wirklichkeit, in seiner nackten
Wahrheit noch mit anzusehen?
Uebermenschlich scheint die Sache,
Scheint unmöglich, scheint undenkbar.
Nein! sie ist es nicht! Geläng' es,
Dachte Munkel, von entferntem
Fixstern hoch herabzuschauen
Auf das Erdenrund, so würde
Man auf ihm, mit Hülfe bester
Fernrohrlinsen, längst Vergang'nes
Noch erschau'n als gegenwärtig!
Auf Athens erhab'nem Burgberg
Sähe man vielleicht noch wandeln
Perikles, Aspasia –
Säh' am Hellespont den Xerxes
Mit den Seinen, oder Cäsar
Sinnend stehn am Rubikon,
Säh' mit Plato sich ein Stück noch
An des Aristophanes
Im Theater des Dionysos,
Und mit Nero eine Thierhatz'
In der römischen Arena.
Zu berechnen nach Entfernung
Der verschied'nen Sterne wär' es,
Welcher Stern zum Standort dienlich,
Eben dieses, eben jenes
Längst Vergang'ne noch zu schauen.
Einzig gält' es, zu versetzen
Sich mit Leichtigkeit auf Sterne
Mittelst eines Luftvehikels,
Dessen Schnelligkeit unendlich –
Um damit den nöth'gen Vorsprung
Zu gewinnen vor dem Lichtstral.
Dies Problem zuletzt zu lösen
Noch mit Hülfe seiner Riesen-
Denkmaschine hoffte Munkel.
Unterdessen wollt' er darauf
Koncentriren sein Bestreben,
Zu erschließen, zu erproben
Neue Mittel erst und Wege
Des Verkehrs im Sternenreiche.
Ach, der Mensch – und hätt' er alles
Höchste hier erreicht auf Erden,
Ewig strebt er in die Ferne,
Selbst vom Erdrund weiter, weiter,
Bis hinauf ins Reich der Sterne.
So auch Munkel. Nichts gethan noch
Schien ihm schließlich, wenn er müßte
An der ird'schen Scholle kleben.
Jedes Sperlings Flug in's Weite
Dünkt dem Strebenden beschämend,
Ist für ihn ein ew'ger Vorwurf;
Und die Schwingen zu ersetzen,
Die ihm fehlen, bleibt des Menschen
Schönster Traum von Anbeginn.
Sollte nicht auch dies gelingen?
Ist er doch nichts Neues, dieser
Aufschwung sterblicher Geschöpfe
Von der Erde hoch in's Blaue!
Schauten nicht seit grau'ster Urzeit
Die verwunderten Gestirne
Schon so manchesmal ein Erdkind,
Das den Weg nach oben einschlug?
Denkt an Ikarus und an sein
Wachsgefieder, das ihn aufwärts
Tragen sollt' der Sonn' entgegen;
Denkt an Phaëton, der kühnlich
Mit des Vaters Flammenrossen
Auf der Sonnenbahn sich umtrieb;
An Bellerophon, den Eigner
Des bekannten Flügelrosses,
Das seither Poeten tummeln;
An den Hirten Ganymedes,
Den der Aar des Zeus, an Psyche,
Die der Liebesgott emportrug;
An Trygäus, der auf einem
Käfer, einem ganz gemeinen,
Reitend zum Olymp gelangte;
Denkt an Ikaro-Menipp,
Der auf einem Paar von Flügeln,
Einem Adler eins und eines
Einem Geier abgeschnitten
Und geheftet an die Schultern,
Seinen Himmelsflug versuchte;
An den alten Perserkönig
Kai Kawus, der, nach Firdusi,
Einen Thron sich ließ erbauen,
D'ran ein Doppelpaar lebend'ger
Adler war gebunden, welche
Hoch ihn über Wolken trugen,
Ueber Sterne, bis er freilich
Stürzte und beinah' den Hals brach;
An Domingo Gonzales,
(Don Gonzago), der auf einer
Gans zum Mond die Reise rittlings
Machte, die er dann beschrieben?
An den großen Dichter Dante,
Welchen seine Beatrice –
Nicht die erste, nicht die letzte
Schöne, die so that dem Liebsten –
In das Paradies entrückte;
Zu geschweigen von den andern
Dichtern, welche nach Belieben
Sich auf gold'nen Wolken wiegen.
Und ward jenes ew'ge Blau nicht
Wiederholt zum Schauplatz ries'ger
Kämpfe zwischen Erd' und Himmel?
Tummelten sich nicht da wilde,
Himmelstürmende Titanen?
Stürzten nicht von da die Engel,
Himmelsengel, als Rebellen
In des Höllenabgrunds Tiefen?
Sperrten da nicht einst die Vögel,
Angeführt von den zwei Schelmen
Aus Athen, den ew'gen Göttern
Keck den Weg zur schönen Erde
Durch ihr Wolkenkuckucksheim? –
Keine allzu unwegsame
Gegend also ist sie, diese
Gegend zwischen Erd' und Himmel –
Der Verkehr ist ziemlich lebhaft ...
So erbaute denn ein Luftschiff
Der Homunkel. Kinderspiel war
Solcherlei für ihn, sein Wissen,
Seine Kunst und sein Genie!
Lenkbar war das Schiff und tausend
Menschen faßt' es; sechs Stockwerke
Thürmten eins sich ob dem andern
In des Schiffs Gerüst; versehen
War's mit Allem, was ein Mensch nur
Wünschen mag auf einer Weltfahrt.
Zu des Schiffes Luftball hatten
Seidenwürmer, welche Munkel
Eigens zu dem Zweck gezüchtet,
Eine Seidenart geliefert,
Deren Feinheit unerhört,
Deren Stärke fabelhaft war.
Und die Taue, die den Luftball
Mit dem Riesenschiff verbanden,
Diese waren das Erzeugniß
Einer Art von Riesenspinnen,
Welche Munkel unverdrossen
Allgemach im Lauf der Jahre
Nach Darwinischen Prinzipien
Aus der stärksten Art von Spinnen,
Die wir kennen, aufgezüchtet
Bis zu einer Riesenrasse,
Welche Riesentaue spann,
Dick und stark und unzerstörbar.
Nicht durch Sturmgewalt, noch Feuer
Waren jemals zu zerstören
Diese Seide, diese Taue.
Ganz zu unterst lag im Schiffsbauch
Das Gelaß zur Luftbereitung,
Ueber ihm die chem'sche Küche
Zur Ernährungs-Grundstoff-Mischung,
Deren Elemente stetig
In des Stoffewechsels Kreislauf
Immer wieder her sich stellten.
Unter'm Schiffsgeräth befand sich
Munkels herrlich' Riesen-Sehrohr,
Und sein unvergleichlich Sprachrohr,
Und sein wundervolles Hörrohr,
Und sein zauberhaftes Riechrohr,
Um mit allen Sinnen machtvoll
Alle Winkel so des Weltraums
Zu durchspüren, zu durchstöbern.
Und so konnte unbekümmert
Um den Lauf der Dinge Munkel
Mit dem Riesen-Luftschiff, tausend
Menschen fassend, das er aber
Erst allein erproben wollte,
Trotz der Zeit, dem Raume bieten!
Als da fertig stand mit seinem
Hochgethürmten Kielgerüste
Das gewalt'ge Fahrzeug Munkels,
Und, wie schwer auch, leicht empor sich
Schwingend, wie der Erdball selber
Schwamm im Blau, da war's, als hätte
Babels Thurm, nun doch vollendet,
Losgerissen sich vom festen
Grund und hinge, tanzte schwebend
Jetzo zwischen Erd' und Himmel.
Flügelschlagend, keck umkreiste
Munter das gewalt'ge Luftschiff
Munkels einziger Begleiter
Auf der stolzen Luftfahrt: Draco;
Saß dann wieder auf des Fahrzeugs
Borde rastend, starrte nieder,
Halb entsetzt und halb vergnügt
In die bodenlose Tiefe,
Grinsend und die Zähne fletschend.
Hoch empor flog Munkel pfeilschnell,
Bis des Erdballs weites Halbrund
Von dem einen Pol zum andern
Seinen Blicken sich enthüllte.
Und des Halbrunds Regionen
Uebersah mit Einem Blick er:
Sah die Region des Erdreichs,
Sah die Region der Wasser,
Sah die Region des Sandes,
Sah die Region des Eises.
Tiefblau erst, dann graulich glänzend,
Lag das Meer – einkrümmt' es mählich
Sich zu einer Riesenschale,
Schien ein Spiegelbild der blauen
Umgekehrten Himmelswölbung.
Die beschneiten Alpenzüge
Glichen langgestreckten Häufchen
Schnee's, wie man auf Markt und Gassen
Sie zusammenfegt im Winter.
Flüsse zogen sich wie blaue
Adern hin im Leib der Erde;
Gelb als Gürtel schlang um ihre
Mitte sich der Sand der Wüsten.
Eiseswüsten starrten schaurig,
Endlos um die todten Pole.
Eiseswüsten, Sandeswüsten –
Wasserwüsten – und ein wenig
Land dazwischen für den Menschen! –
Mit Erstaunen, mit Entsetzen
Sieht die Menschenwelt das Wunder,
Den Koloß, des Luftreichs Babel,
Ueber's Hochgebirg sich heben:
Eines ganzen Erdhalbrundes
Augen sind gekehrt nach oben,
Festgebannt, so lang das Wunder
Sichtbar bleibt für Menschenaugen
In des Aethers Regionen.
Stolzes, hohes Selbstgenügen
Schwellt die Seele des Gewalt'gen,
Der auf sich, wie vor ihm Keiner,
Lenkt der Erdgeschlechter Blicke;
Hochgemuth an seine Lippen
Setzt er stracks sein Riesensprachrohr,
Und wie Donner aus Gewölken
Läßt er zu den Menschenkindern
Dumpf die Kunde niederdröhnen:
"Seht das Werk nun des Homunkels,
Den ihr nicht gekannt, gewürdigt!
Seht den Flug, der Scholle Sklaven,
Den er nimmt, hinweg von euch,
Tief in's All, in's schrankenlose!" –
Diese Botschaft aus der Höhe,
Staunend hörten sie die Menschen.
Mit den andern Erdensöhnen
Hörte sie der zauberkund'ge
Greise Meister, der Erzeuger
Des Homunkels: hundert Jahre
Zählt' er nun und lag im Sterben;
Und mit einem Freudenrufe
Haucht' er aus den letzten Odem.
Uebermüthig fürder gleitet,
Hoch und höher stets des Aethers
Leviathan, von den Schrecken
Wechselreicher Atmosphären
Rings umdräut. Durch Sonnengluten,
Frosterstarrte Regionen
Prickelnd scharfer Eiskristalle
Geht der Flug; auf Nebelwände,
Auf Gewölke wirft das Fahrzeug
Seinen ungeheuren Schatten,
Wie ein Luftgespenst, ein ries'ges,
Und im Schiffe der Homunkel
Sprengt durch Regenbogenringe,
Wie durch Reife Cirkusreiter!
Hei, du Sonne, gold'ne Sonne,
Wechselst du vor Angst die Farbe?
Blutroth bald und bald smaragdgrün
Blickt sie durch die Nebeldünste,
Und wo rein erglänzt der Aether
Regen sich erschrockne Sterne,
Greller vor Erregung funkelnd
Auf blauschwarzem Hintergrunde.
Wie des Meeres Fläche sinkt nun
Auch der Erde ganzes Halbrund
Mit der Berge höchsten Gipfeln
Mählich ein zur Riesenschale,
Ein zum öden Riesenkrater,
Der empor zum Himmel gähnt.
Ist's nicht eine Thränenurne,
Aschenurne, Todtenurne?
Ist es nicht ein Schreckenskrater? –
Reiche Schätze der Erkenntniß
Sammelt in den Aetherhöhen
Munkel mit des Riesensehrohrs,
Riesenhörrohrs, Riesenriechrohrs
Hilfe, die der Sinne Spürkraft
Ihm in's Unermeß'ne steigert.
Manchesmal erwägt er brütend
Sein Problem des Luftvehikels,
Das den Lichtstral überflügelt.
O wie wird er sie verblüffen,
Diese Menschlein, wenn er heimkehrt,
All' der Schöpfung Räthsel deutend!
Und schon sinnt er, was zum Voraus
Durch das hehre Sprechtonwerkzeug,
Das er schuf, zu größer'm Ruhme
Seines hohen Unternehmens
Künden soll den Erdgeschlechtern.
Von dem Bord des Riesenfahrzeugs
Blickt mit seinem Riesensehrohr
Oft verachtend der Homunkel
In die überwund'ne Tiefe.
O wie scheint ihm arm die Erde!
O wie scheint ihm klein der Mensch!
Klein und elend! und die ganze
Kleinlichkeit, die ganze Schalheit
Aller ird'schen Dinge steht ihm
Doppelt widrig nun vor Augen! –
"Ich verachte dich, o Erdball,"
Ruft er trotzig; "ich verachte
Dich, armsel'ge Sternenschlacke,
Blasser Mond, der Erde folgend,
Wie das Hündlein an der Leine
Folgt dem Herrn; und euch, Planeten,
Die ihr euch um eure Achse
Dreht am Sonnenfeuerherde,
Schmorend, wie am Spieß der Hammel!
Ich veracht' euch all', ihr Sterne,
Die ihr, wie im Menuettschritt
Gravitätisch um einander
Euch bewegt nach ew'ger Regel!
Ich allein bin Herr des Luftreichs;
Kreuz und quer mein Fahrzeug lenkend,
Tanz' ich hin nach freier Willkür! –
So zu höhnen, so zu schmähen
Pflegt er in den ungezählten
Tagen seiner stolzen Weltfahrt.
Mitten stets durch Wetterwolken,
Ob sie blitzen auch und donnern,
Seinen Weg nimmt der Koloß:
Und dann gleicht er einem Renner,
Der, umhüllt von einer Wolke
Staubes auf dem Weg dahinjagt.
Aber wehe dir, Gigant!
In die Ferse sticht wohl einmal
Dich ein Schlänglein! –
So geschah's!
Und der gift'ge Biß der Schlange
War ein Blitz aus tück'scher Wolke,
Eine wilde Zickzackschlange,
Die dem Renner in die Flanke
Wüthend schoß. Aufbäumt' er sich
Unterm Biß der Blitzesschlange,
Und das Gift, das ihn durchschauert,
Feuer ist's, ist Flammenlohe!
Unverletzbar sind die Taue
Unverletzbar ist der Luftball;
Doch am Steuer kann sie zehren,
Lecken mit den gier'gen Zungen
Am Gebälk, dem hochgethürmten,
Ungemess'ne Zeit, die Lohe.
Angstvoll um das Fahrzeug flattert
Draco; zischend faßt der Gluthauch
Seine Schwingen, steckt in Brand sie:
Grausig war es anzusehen,
Wie sein schwebend ausgestrecktes,
Hellaufloderndes Gefieder
Stöhnend schüttelte das Unthier,
So den Brand zu löschen trachtend,
Aber ihn nur mehr entfachend,
Bis zuletzt der flügellose
Rumpf, versengt, halb Affe nur noch,
Und halb Wurm, hinunterstürzte
Aus des Aethers Schwindelhöhen
In die bodenlose Tiefe ...
Meerwärts spornt das Schiff der Lenker,
In der Flut den Brand zu löschen;
Doch die Welle nicht erreicht es,
Sondern schweift, nunmehr entzügelt,
Mit dem halbverkohlten Steuer
Hin in greulicher Verwüstung
Ueber Länder, Meer und Erde.
Städtezinnen, Königsburgen,
Dome steckt's in Brand im Fluge,
In Friedhöfen aus der Erde
Reißt's die Kreuze, Kirchthurmspitzen
Knickt's wie Halme, knickt die Wälder,
Knickt sie schon von fern im Anhauch
Durch den Stoß bewegter Lüfte.
Aneinander schlägt sie manchmal
Ries'ge Wipfel, daß sie donnernd
Sich entzünden, hoch auflodernd,
Und ein ungeheurer Waldbrand
Weithin das Gebirg verwüstet.
Kreischend flüchten sich die Vögel,
Flüchtet sich sogar die Eule,
Flüchten sich die wilden Thiere,
Aufgescheucht aus den Verstecken.
Felsen, Bergesgipfel, Gletscher
Reißt es fort von Alpenhöhen,
Mächt'ge Fels- und Erdreichmassen
Sammt den Tannen, die d'rin wurzeln,
Rollen knatternd, rasselnd, krachend,
Donnernd nieder in das Tiefland.
Steingeblöck und Eichwaldstrünke,
Moor und Schlamm, und Rasentrümmer,
Und Gesträuch, geballt zu Knäueln,
Wirbeln durch die Luft wie Flugsand.
Eines Berges ganzer Gipfel
Stürzt ins nahe Meer, zum Himmel
Spritzend einen umgekehrten
Niagarasturz von Wassern,
Aufgelöst in Dampf und Schaum.
Wogen macht des Feuerdrachens
Hauch die See gleich einem Saatfeld,
Macht sie, näher rückend, kochen,
Qualmen wie die Flut im Kessel.
Himmelstürmender Homunkel,
Hei, wie lustig ist die Weltfahrt!
Fahre zu, du kühner Segler! –
Umstülpt jetzt sein Riesennachen
Plötzlich, und nun müßt' er stürzen
In die Tiefe und zerschellen:
Doch er hat in weiser Vorsicht
Alles, was im Schiff beweglich,
Und sogar den eig'nen Fuß auch,
Dicht umschnürt mit hänf'ner Schlinge,
Festgeknüpft am Grund des Fahrzeugs:
Und nun hängt er sicher zwar, doch
Umgestülpt, das Haupt nach unten,
Wie der Schwengel aus der Glocke!
Wundersamer neuer Standpunkt,
Traun, für eine Weltbetrachtung,
Wie sie Keiner noch genossen! –
Aber einen Augenblick nur:
Neu sein Gleichgewicht gewinnend,
Aufgerichtet, jagt nun wieder
Hin das Wrack, das steuerlose.
Fahre zu, du kühner Segler!
In der Macht, die da dich hinreißt
Mit dem Fluch der ew'gen Unrast,
Findest du dein tiefstes Wesen!
Ha, zum schweifenden Kometen
Für die Erdwelt wird der Greuel,
Und Weltunterganges-Schrecken
Sieht sie über sich verbreitet.
In den Gräbern, in den Grüften
Regt es sich, die Todten träumen
Von dem Tage des Gerichts. –
Auf dem wilden Samumfluge
Des Homunkels über alle
Erdenfluren, Erdenhügel,
Streift zuletzt das Riesenluftschiff
Ueber eines Klosters Hallen,
Eines Nonnenklosters Hallen,
Das auf freier Bergeszinne
Steht am fernen Libanon.
Hier auch übt es Grau'n-Verwüstung,
Und von einem Sarg, der eben
Zur Bestattung da bereit steht,
Stößt in des Vorüberschwunges
Wucht herunter es den Deckel.
Und ein bleiches Frauenbild sieht
Ruh'n im Sarg der Weltdurchstürmer
Und erkennt – die Züge Lurlei's.
Nie zu altern, nie zu welken,
War vergönnt dem Nixenleibe.
Lurlei hat gesucht die Ruhe
Nach der wilden Lebensirrfahrt
Hier in klösterlicher Stille.
Wunder haben sich ereignet
An der Bahre der Verblich'nen.
Ihren Leib hebt aus dem Sarge
Munkel im Vorüberfluge;
Rasch in seine Riesengondel
Hebt er ihn zu sich empor,
Zwingt die Todte so, Gefährtin
Ihm zu sein, ob auch entseelt,
Auf der Weltenfahrt voll Grausens ...
Jetzo hebt, als wär' vollbracht im
Erdbereich nun seine Sendung,
Das gigant'sche Wrack sich wieder,
Stürzt in raschem, wildem Flug sich,
Wie verstoßen von der Erde
Aus den irdischen Bereichen,
Zügellos ins Unermess'ne.
Unzerstörbar ist der Luftball,
Unzerstörbar sind die Taue,
Und zu mächtig war der Schiffskiel
Selbst für die gefräß'ge Flamme:
Doch ein Spielball nun geworden
Der Anziehungen des Weltalls,
Nicht ein irdisch Ding mehr ist es,
Dieses Ungethüm, das tolle
Riesenfahrzeug des Homunkels:
Angehört es nun dem Aether,
Dem unendlichen – um es her
Schwärmen, wie Geschwärm der Vögel,
Meteore seines Gleichen;
Ein Asteroidenhagel
Peitscht die Flanken ihm, es flattern
Riesenbänder von den Schweifen
Der Kometen, deren Leiber
Es zerfetzt, wie Flaggen ringsher
Hängend ihm an Haupt und Gliedern.
Näher jetzt dem Mond gekommen,
Der sich riesengroß heranwälzt,
Sieht mit Grausen der Homunkel
Aufgethan vor seinen Augen
Ber Zerstörung und der Oedniß
Reich und der verlor'nen Dinge.
Er erbebt; zum ersten mal nun
Faßt sein Herz, das kalte, kecke,
Jetzt ein unnennbarer Schauder.
Und dem wilden Grau'n zu trotzen,
Leert er einen Becher feur'gen
Alkohols, der ihm die Sinne,
Die zu schwinden schon beginnen,
Neu entflammt zum Uebermuthe.
Immer ries'ger schwillt das fahle
Rund des Mondes ihm entgegen,
Er erblickt das Mondgesicht –
Bleich und welk und starr und grinsend,
Mit geschloss'nen Augenlidern.
Und berauscht, wahnwitzig trotzt er
Dem gespenst'gen "Mann im Monde",
Trinkt ihm zu mit keckem Anruf
Einen Becher seines Trankes.
Doch mit höhnischer Grimasse,
Seine Augenlider öffnend,
Giebt das Mondgesicht ihm Antwort.
Drohend ballt, erboßt darüber,
Seine Fäuste der Homunkel.
Und nun schleudern sich die Beiden
Worte zu voll wüsten Schimpfes.
"Weltdurchbummler Zwerg, was willst du?
Du geberdest dich, als wolltest
Du verschlingen mich, den Mond?
Dünkst dich ja, so scheint's, hier oben
Selbst schon einer von den Unsern?
Selbst ein Stern hier unter Sternen?" –
Ihm entgegen der Homunkel:
"Schweig, Du altersgrauer Bursche,
Todesblasser Hörnerträger!
Schweig, wie es geziemt dem Todten,
Der du bist, dem längst Verkomm'nen,
Längst Verdorb'nen, längst Gestorb'nen!
Hu – als Leichnam schleppt die Erde
Dich mit sich so durch den Weltraum!" –
Drauf der Mond: "Dich glücklich preisen
Könntest du, Weltbummler Zwerg,
Wärst du todt, wärst du verkommen
Und verdorben und gestorben!
Ausruh'n doch von deiner Irrfahrt
Könntest du! so aber reißt dich
Ruhelos der Flug in's Weite!" –
"Dessen rühm' ich mich!" versetzte
Der Homunkel. "Stoffgebilde,
Reinste Stoff- und Kraftnatur
Bin ich, aus dem Born geschöpfte,
Aus dem Born der Elemente,
Frei vom Wuste des Vererbten –
Und die Menschheit überleb' ich
Die beseelte, wie der Himmel
Ueberlebt das Erdeleben!" –
Weiter mit dem Mondesriesen
Zankt sich eifernd der Homunkel,
Jetzt das Sprachrohr an die Lippen
Stemmend, seine Lästerungen
Fernhin Jenem zuzudonnern,
Jetzt an's Ohr das Hörrohr stoßend,
Um die Antwort zu vernehmen,
Bis aus dem Bereich des Mondes
Fort ihn reißt das Riesenfahrzeug.
Eine Arche ist dies Fahrzeug,
Eine Arche auf des Aethers
Hoher See, auf unermess'ner
Hochflut des Unendlichen:
Eine Arche, welcher nirgends
Dämmert je ein grünes Ufer,
Eine Arche, welcher niemals
Naht die Taube mit dem Oelzweig.
Einst auf seinem Weltenfluge
Spähte der Homunkel sinnend
Aus der Sternwelt in die Tiefe,
Nach der Heimat, d'raus er stammte,
Nach der einst vertrauten Erde.
Sie erschien – o Wunder! – leuchtend
Als ein schöner, heller Stern ihm,
Als ein Stern voll wundersamen
Glanzes, und sein Zauberfernrohr,
Das ihm greifbar schier stets nahe
Brachte selbst das Allerfernste,
Ließ in seiner vollen Reinheit,
Ließ in seiner lautern Schönheit
Ihn das Erdenthal betrachten
Wie von eines Berges Gipfel.
O wie schien es ihm verwandelt!
Welcher Reiz, o, welcher Zauber!
Funkelnder Demant bedünkt ihn
Nun des Eispols Kronenschimmer,
Blitzend stralt des Wüstensandes
Gelber, gold'ner Riesengürtel,
Flüssiger Sapphir erscheint ihm
Nun das Meer, Smaragd die Fluren,
Und es schlingt als Heil'genschein sich
Um der Erde Stirn das Nordlicht!
Wälder, Auen, Hügel sieht er
Ruh'n in heit'rem Sonnenscheine,
Sieht beglückte, frohe Menschen
Trauben keltern, Früchte pflücken,
Sieht auf Triften munt're Hirten
Singen und Schalmeien blasen,
Sieht in Hainen Liebespaare,
Sieht die Kinder selig gaukeln,
Oder ruhn am Mutterbusen,
Sieht auf gold'nem Saatgefilde
Eldo steh'n und Dora, lächelnd,
Glückumstralt, ein Bild der Urkraft,
Vollbeseelten Menschenthumes,
Das im Wandel der Geschlechter,
Ob umdunkelt auch, umdüstert,
Sich behaupten wird aufs Neu' stets
Bis an's Ende aller Tage.
Helden sieht er, Streiter, Dulder,
Die, nach hohen Idealen
Ringend, freudig selbst sich opfern,
Helden sieht er freier Forschung,
Schleierloser Wahrheit – Helden
Der Erkenntniß, die mit reinem
Aug' der Isis Schleier heben,
Und bei welchen Licht im Haupte
Sich mit Wärme paart im Herzen –
Schöpferische edle Geister
Sieht er, welche auf sich schwingen,
Schönheitstrunken, ohne Luftball,
In die höchsten Regionen ...
Und je länger er betrachtet
Das Gestirn aus weiter Ferne,
Desto mehr fühlt er von Heimweh'
Sich ergriffen nach dem Sterne –
Und es überkommt ein Sehnen
Ihn nach menschlichem Geschicke,
Menschenleid und Menschenfreude.
Schier begehrenswerther scheint nun
Dort entsagendes Genügen
In des Daseins enger Schranke,
Als in ruheloser Irrfahrt
Das Unendliche durchschweifen,
Und sich fühlen stets unselig!
Ach, was hilft Unendlichkeit
Dir, unsel'ger Weltdurchstürmer?
Kann sie dir verleihen, was zur
Seligkeit Dir fehlt: die Seele? –
Nach dem Sarge Lurlei's wendet
Seinen Blick er. Unverweslich
Bleibt ihr Leib im reinen Aether.
Wie aus blendend weißem Wachse,
Fast durchsichtig, scheint gebildet
Ihr noch reizerfülltes Antlitz,
Welches mit der Nixe Zauber
Hat getrotzt dem welken Alter,
Auch dem Tod scheint sie zu trotzen,
Aber auch um ihre Züge
Scheint Unseligkeit zu schweben,
Ueberdruß und Lebensunmuth.
Und zugleich doch ist's, als lechzten
Die Atome dieses Weibes,
Mumienhaft also gefesselt,
Sich zu lösen, frei zu werden,
In des ungeliebten Lebens
Wirbel sich zurückzustürzen ...
Ja – das Antlitz einer Mater
Dolorosa, der von sieben
Speeren bebt das Herz durchstochen,
Es ist himmlischer, ist sel'ger
Noch im tiefsten Mutterschmerze,
Als der Zug des schalen, bitter'n
Nachgeschmacks der durchgenoss'nen
Erdenlust aus diesem schönen,
Kalten, todesblassen Antlitz! –
Ueber ihren Sarg gebeugt ruht
Der Homunkel; auf ihr Antlitz
Fest den Augenstern gerichtet
Seufzt er sinnend, wie im Traume:
"Warum konnten wir nicht lieben?" –
Unter Himmelskörpern selber
Himmelskörper, doch unselig,
Treibt das Fahrzeug des Homunkels
In des Himmels, in des Aethers
Hafenlosem Ozeane.
Unmuthsvoll, mißgünstig blicken
Auf den Eindringling die andern,
Alten, seligen Gestirne.
Aufbäumt sich der große Drache
Gegen ihn, mit seinem Horne
Dräut der Stier, mit seinen Fängen
Ihm der Aar, es schwingt die Keule
Perseus gegen ihn, der Held,
Seinen Bogen spannt der Schütze,
Und der Skorpion krümmt den Stachel.
Sie bedroh'n ihn, jagen Einer
Ihm den Anderen entgegen,
Keiner will ihn nahe haben,
Hetzen so ihn durch den Himmel.
Selbst das gold'ne Herz der Sternwelt,
Selbst die Sonne, die sonst Alles
Reißt an ihren Flammenbusen,
Stößt von sich ihn, wie vor Abscheu,
Wirft hinaus ihn aus dem Lichtreich,
Wo sie Königin; auf seiner
Flucht geräth er taumelnd, ziellos,
In dem langen Lauf der Zeiten
Weit hinein in Sternenwelten,
Welche blos als dünne Nebel
Unser Aug' erspäht am fernsten
Dämmerrand der Himmelswölbung:
Dorthin, wo ein Weiser ragt
Mit der Aufschrift: "Weg in's Nichts!"
Doch die Riesenhand des Weisers
Ist unendlich – ihre Länge
Nicht durch Zahlen auszudrücken.
So entlang Milchstraßen schweifend,
Scheint der Fremdling, der Gigant,
In dem rasend wilden Fluge
Selbst ein Staubgewölk von Welten
Aufzuwirbeln. Zum Kometen
Ward er und sein ird'scher Eigner
Ward zum "fliegenden Holländer",
Ward zum Ahasver des Weltraums.
Schweifen wird er immer noch
In des Himmels ew'gen Fernen,
Wenn getilgt des Erdenpilgers
Fluch und der gespenst'ge Segler
Längst erlöst im Hafen ausruht.
Wem nicht die Natur, die heil'ge,
Die geheimnißvolle Mutter,
Gab das Leben durch die Liebe,
Gab das Leben in der Liebe,
Dem verweigert auch den Tod sie,
Und den schönsten Tod vor Allem,
Das Ersterben in der Liebe –
Und kein Grab der sel'gen Ruhe,
Keine Stätte ew'gen Friedens
Hat für ihn das weite Weltall.
Wer vermag zu sagen, wo
Und wie lang mit dem Homunkel
Und der Nixe, die gesellt ihm,
Das verkohlte Riesenluftschiff
In der ehernen Gesetze,
In des Stoffs, der Kräfte Wirbel
Auf den schrankenlosen Bahnen
Jagt das waltende Verhängniß?
Sonntagskinder noch erblicken
Manchesmal in Sternennächten
Jenes Wrack als dunklen Irrstern
Hoch in unermess'ner Ferne,
Und das Schicksal ahnen schaudernd
Sie des ewig Ruhelosen.
Homunculus.
Erstdruck: Hamburg (Richter) 1888.
Hamerling, Robert: Homunculus. Modernes Epos in 10 Gesängen, 5. Auflage, Hamburg
1889, S. 279-321.